Volltext: Der Naturarzt 1884 (1884)

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bon den Katarrhen her gewohnt. — Weil nun die Blutgefäße in dem 
elastischen Teil ihrer Wandungen sozusagen aus körperlicher Substanz des sym 
pathischen Nervengeflechtes konstruirt sind, so ist es einleuchtend, daß von da 
ab unser Blutstrom in sämtlichen Röhren langsamer fließen wird, wo der 
sympathische Nerv der Lähmung verfällt, weil ihm von seiten des getöteten 
Lungenmagen nervs keine Elektrizität mehr mitgeteilt wird. Mit dem sich hieraus 
ergebenden Aufhören des den Sympathikus durchfließenden elektrischen Stromes 
fällt für den Blutstrom die treibende Ursache fort. In den Nieren und in 
der Milz beginnen aus dem stillstehenden Blut die Leimzuckerspalt 
stoffe heraus zu krystallisiren, die uns als Sarkin, Tanthin, 
Karnin, Kreatin rc. bekannt sind und von den medizinischen 
Mikroskopiern für „Diphtheriepilze" angesehen werden; auch das Herz 
muß zuletzt stille stehen; so lange es noch pulstit, pressen die von dem stocken 
den Blutstrom anschwellenden Schleimhautgewebe leblos gewordenes 
Eiweiß an die Oberfläche der serösen Häute und dieses beginnt überall da 
zu faulen, wo es mit Luft in Berührung kommt! 
Das ist das Wese« dev Diphtherie! 
Aber welche Ursachen können eine so schwere Affektion bewirken und 
an welcher Stelle nimmt sie ihren Anfang? Um hierauf, ohne auf 
Widerspruch gefaßt sein zu müssen, erschöpfend zu antworten, müssen wir die 
anatomische Thatsache berücksichtigen, daß der Vagus (anatomische Bezeich 
nung des Lungenmagennerv) der einzige von allen ist. der notwen 
digerweise in anbetracht des Atemgeschäfts in unmittelbarer Beziehung 
zur atmosphärischen Luft steht. Seine Substanz ist nur durch eine sehr 
zarte seröse Membran von dem direkten Verkehr mit der atmosphärischen 
Luft geschieden. Hier ist die Achillesferse, der verwundbare Punkt, 
von welchem aus eine Eiweißgerinnung zu Lymphe und Faserstoff durch 
Entziehung von Wasserteilen, wie wir sie infolge von Erkältung bei Katarrhen 
beobachten, um so leichter geschehen kann, wenn der Organismus noch zart 
ist und von wo aus sich eine platzgreifende Lähmung fortpflanzen kann auf 
das gesamte Nervengebiet. Deutet uns nicht schon die große Biegsamkeit und 
Modulationsfähigkeit der kindlichen Stimme darauf hin, welches bewunde 
rungswürdige Nervenspiel bei Kindern am Kehlkopf in Wirksamkeit tritt? 
Wäre es nicht schon ausreichend, das kindliche Alter aus dem Grunde. weil 
das Seelenleben erheblich viel reger ist als in späterem Alter, für gefähr 
deter zu halten, als die Erwachsenen? Denn das Seelenleben, welches den 
Antrieb giebt zu allen Körperfunktionen, ist normalerweise bedingt durch 
Zerfall von Nerven material. An dieser Stelle wäre zugleich hervor 
zuheben, daß reichliche Fleischkost der Kinder ihre Neigung für 
Diphtherie noch erheblich begünstigt, und daß begabte und gutge 
ll ä h r t e Kinder fast zahlreicher der gefürchteten Krankheit erliegen, als 
andere! Begreiflicher Weise! Denn hervorragende Gehirnthätigkeit ist ab 
hängig von Eiweißverbrauch und Eiweißergänzung. Aber je schärfer ein In 
strument ist, um so leichter ist es schartig zu machen. Also kein Zweifel: 
der Vagus ist es, dessen Absterben die gefürchtete Affektion bedingt. 
Warum, aus welchen Ursachen stirbt er ab? Warum entsteht im 
kindlichen Alter statt eines gewöhnlichen Katarrhs so leicht die tödliche 
Diphtherie? —Diphtherien greifen um sich, wenn kalte 
Nordo st winde herrschen, wir dürfen uns vorstellen, daß bei unsern sich 
im Freien tummelnden Kindern die kalte Luft mit jedem Atemzug eine ganz
	        
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