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Krankheit die Frequenz der Darmentleerungen zunimmt (bis zu 30 und mehr in 24 Stunden);
verlieren die ausgeleerten Stoffe mehr und mehr an Konst st enz,
s i e e r s ch e i n e n e n d l i ch s l ü s s i g w i e W a s s e r ; auch entfärben sie sich
allmählich (die Anwesenheit von unverdauten Speiseresten in denselben bildet keine
Gegenanzeige, wird aber nickt in allen Fällen beobachtet); es rinnt aus dem After wie
aus einer Brunnenröhre und der Afterschließmuskel leistet so wenig Widerstand, daß zu
weilen dem Kranken eine Ausleerung unwillkürlich entschlüpft. Die Darmentleerungen
sind an keine bestimmte Tageszeit gebunden. Sie verteilen sich ziemlich gleichmäßig auf
die Tagesstunden. Der Appetit fehlt; die Zunge ist von einem
schmutzig-grauen Schleime überzogen; trotz des lästigsten
Trockenheitsgefühles in der Mundhöhle fehlt der Durst gänzlich.
Die Kranken verhalten sich apathisch; sie sind gleichgiltig gegen
alles, selbst gegen ihren eigenen Gesundheitszustand. — Abmage
rung, Muskelschwäche, Blässe des Antlitzes, auch neuralgische Besckwerden bleiben bei
längerer Dauer der Krankheit nicht aus; sind aber als Konsekutiv - Erscheinungen aufzu
fassen (Säfteverlust) und bilden daher für sich genommen, keine Anzeige für Acidum,
phosphoricum, da sie auch vielen anderen krankmachenden Substanzen zukommen.
Um obige Indikationen der Phosphorsäure faßbarer zu machen, sei es mir erlaubt,
noch eine andere oft zu beobachtende Varietät des chronischen Jntestinal-Katarrhes nebst
dem entsprechenden homöopathisch-spezifischen Heilmittel zu charakterisiren.
Sporadisch tritt häufig genug ein Intestinal - Katarrh auf, welcher bei herrschender
herbstlich-naßkalter Witterung zu epidemischer Verbreitung zu gelangen pflegt. Den Ein
tritt der Erkrankung spürt Patient an schmerzlichem Kollern und Gähren im Bauche, be
gleitet von Stuhldrang, welcher ihn aus dem Nachmitternachtsschlafe
weckt und vor Sonnenaufgang aus dem Bette treibt. Es erfolgt unter
gelindem Mast darmzwange (bei weitem weniger schmerzhaft, als der in Beglei
tung der sogen, rothen Herbstruhr (Dysenterie) austretende) ein breiiger Stuhl
gang von dunkler aus braun, grau und grün gemischter Färbung.
Mit dem Gefühle der Erleichterung sucht Patient das Bett wieder auf, in welchem er,
obwohl bald wieder erwärmt, bei jeder Lageveränderung am Rumpfe
fröstelt. Hat der Schlaf, wie gewöhnlich, auf eine oder mehre Stunden sich wieder
eingestellt, und Patient nach Sonnenaufgang sich erhoben, um an sein Tagewerk zugehen,
so glaubt er, zumal wenn „bis um die Mittagszeit ein neuer durchfälliger Stuhlgang
sich nicht eingestellt hat, das Übel habe ihn bereits wieder verlassen und begiebt sich zu
gewohnter Abendstunde mit enormer Genugthuung ob „seiner g u t e n N a t u r" zur
Ruhe, welche ihm denn auch zu teil wird, — aber nur bis zu dem Augenblicke, wo die
„schlechte Natur" (denn schlecht, grundschlecht ist sie nun einmal trotz des d'cu8 exmacliina,
genannt „Natnrheilkraft", von welcher niemand sagen kann, an welchen Stoff sie gebunden
ist. Und ohne einen solchen hat seit Menschengedenken eine Naturkraft sich sinnfällig zu
äußern noch niemals vermocht) — ihr unbeugsames Recht geltend macht (aber wart' nur!
Hat ihm schon!). Zu derselben Stunde nämlich, wie nachts zuvor, er
wacht Patient ob vermehrten Unbehagens im Bauche und hat es n o ch
eiliger, an den Ort seiner Bestimmung zu gelangen, wo er wie gestern, nur mit ge
steigertem Unbehagen, einer schon mehr dünnbreiigen Last sich entledigt, um darauf das
warme Bett wieder aufzusuchen. Nach kurzem Schlafe spielt das Stück aufs neue. Jetzt
stellt sich auch im Laufe des Vormittags, für manchen Patienten in sehr inopportuner
Zeit und Lage, ein oder mehre male eiliger Stuhldrang ein. Die ausgeleerten Stoffe
beginnen eine schmierige Beschaffenheit und eine hellere Färbung
anzunehmen. Doch siehe da! — nach eingenommener Mittagsmahlzeit, welche
jedoch schon nicht mehr mit dem gewohnten Appetit eingenommen wurde, scheint abermals
„die gute Natur" zu triumphiren. Ohne im Laufe des nachmittags und abends erneuten
Stuhldrang empfunden zu haben, wird abermals die Nachtruhe angetreten, um zum dritten
male zu der Unglücksstunde durch Stuhldrang, nun schon mit ernstlichem Krankheits-Ge
fühle, unterbrochen zu werden. Der sich aufdrängende Zweifel an „der guten Natur"
treibt den Patienten in die Arme der Kunst. Der Herr Doktor wird herbeigerufen, ver
schreibt ein Tannin-Pulver, nach einigen Tagen eine Opiummixtur, selbst bis zur Höllen
steinlösung versteigt er sich; ist er recht gebildet, so läßt er den Patienten auch einen
Neptun-Gürtel anlegen. Die Natur ist aber gar zu schlecht und spottet der ärztlichen Be
mühungen, welche hauptsächlich im Umherfahren bestehen. Sie oder es wird sogar von
Tag zu Tag immer noch schlechter. Patient ist nicht mehr imstande, das Haus zu ver
lassen; die Kräfte schwinden ob des Sästeverlustes und des schon von dem Appetitmangel
gebotenen Fastens. So kann der Jntestinal-Katarrh dieser Spezies Monate lang sich
hinziehen und heißt nun „chronisch", ein prächtig Wort, mit welchem das ärztliche Unver
mögen sich zu decken weiß. Die Angehörigen des Patienten jammern; die Freunde trauern.