Volltext: Der Naturarzt 1880 (1880)

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tigung bedürfen, versteht sich von selbst. Trauriges Aufsehen verursachen häufig 
die Kosthäuser, in welchen, besonders in grösseren Städten, solche unglückliche Ge 
schöpfe untergebracht werden, um da eine Ernährung und Pflege zu finden, der sie 
möglichst bald unterliegen sollen. Besondere Kinder schutzvereine 
haben sich auch die Aufgabe gestellt, über solchen Anstalten zu wachen, und es ist 
wohl nur zu bedauern, dass diesen Vereinen der polizeiliche Rückhalt fehlt, seitdem 
durch die neue Gewerbeordnung der Staat sich des Rechtes begeben hat, polizeiliche 
Erlaubniss zur Gründung solcher Kosthäuser zu verlangen. Mit vollem Rechte aber 
bestehen bei uns zur Unterbringung unehelicher Kinder keine Findelhäuser, 
denn auch in den besten Anstalten dieser Art ist die Sterblichkeit unter 
den Kindern eine ganz besonders hohe. 
Also nach Ocsterlen sollten zur Verhütung großer Kindersterblichkeit 
nicht blos in Schulen, sondern auch von der Kanzel herab die Grundzüge 
vernünftiger Gesundheitspflege für Groß und Klein gelehrt, 
sowie Unwissenheit in leiblichen Dingen, Aberglaube und Unsittlichkeit bekämpft 
werden und was bis jetzt auffallender Weise noch nicht ge- 
s ch c h e n i st — auch im Lehrplan der H o ch s ch u l e n, bei der Ausbildung 
der künftigen Aerzte, sollte das Fach der Hygieine eine obligatorische 
Stellung finden! Ja, wenn die Aerzte bei uns wie im alten Rom und zur 
Zeit noch in China als sogen. Gesundheitsräthe fest angestellt resp. 
bezahlt würden, etwa wie die Geistlichen und Schullehrer und somit für die 
Gesundheit, das G e s u n d b l e i b e n des Volkes zu sorgen amtlich ver 
pflichtet und nicht vielmehr vom Kranksein und möglichst lange 
Krankbleiben ihrer Mitmenschen zu existiren gezwungen wären! Es ist 
Alles ganz schön und wahr, was Oester len oben sonst noch anführt, allein 
den Nagel trifft er nicht auf den Kopf damit, denn — das einzige und 
wahre Radikalmittel gegen die g r o ß e K i n d c r st c r b l i ch k e i t kann 
kein anderes sein, als: Späteres Heirathcn und Zügelung der Re 
producti on straft, oder mit andern Worten nach dem Bibelbuch: Ein 
schränkung der Kinderzeugung! Die Naturwissenschaft lehrt bekanntlich, daß 
jedes organische Wesen sich auf natürliche Weise i n d e m G r a d e vermehrt, 
daß, wenn nicht Z e r st ö r u n g einträte, bie Erde bald von der Nach 
kommenschaft eines einzigen Paares bedeckt sein würde. Auch der Mensch, 
welcher sich doch nur langsam fortpflanzt, verdoststelt unter günstigen Nahrungs 
und Erwerbsverhältnissen feine Anzahl in 25 Jahren und bei so fortschreiten 
der Vervielfältigung würde die Welt schon nach einigen Tausend Jahren buch 
stäblich keinen Raum mehr für seine Nachkommenschaft haben. Benjamin 
Franklin bemerkte bereits, daß der fruchtbaren Natur der Pflanzen und 
Thiere keine andere Grenze gesetzt ist, als die ihrer massenhaften Ansammlung 
und des gegenseitigen Eingreifens in ihre Subsistenzmittel. Demnach sagt 
Darwin und nicht mit Unrecht: „Es ist unmöglich, das Verhältniß, in welchem 
der Mensch an Zahl zuzunehmen strebt, nicht bitter zu bedauern, denn dies 
führt bei barbarischen dämmen zum abscheulichen Kindesmord 
und vielen andern Uebeln, bei eivilisirten Nationen aber zu der gräß 
lichsten Verarmung (— vide im sächsischen Erzgebirge, Oberschlcsien und 
im nördlichen Böhmen —!), zur Ehelosigkeit und zu den späteren 
Hei rathen der Klügeren! Demnach leidet der Mensch unter denselben 
physischen Uebeln, wie die niedern Thiere und hat kein Recht, eine 
Immunität denselben gegenüber zu beanspruchen, wenn er sich nicht in ge- 
wis sen Punkten über die Thiere erhebt! — 
Mantegazza, der Florentiner Physiologe, sagt treffend in seinen Aphorismen 
überdieEhe: „Bevor man einen Gatten oder Gattin nimmt, sollte man mindestens
	        
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