Volltext: Der Naturarzt 1880 (1880)

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Patienten frug, wie ihm die Partie bekommen sei? — erwiderte er: ganz 
gut, auch würde er jetzt gerne alle Tage eine solche machen, wenn dadurch die 
Kur befördert werden könnte; er fühle sich keineswegs besonders ermüdet und 
glaube nun selbst, daß er auch bald den viel steileren Königstein werde besteigen 
können, ja 14 Tage später, als in den Tagesblättern für Sonntag Nachmittags 
Militärmusik auf dem Königstein mit ermäßigtem Entree angezeigt kam, riß er 
ganz im Stillen aus, fuhr bis zur Station Königstein und ging innerhalb 
4 Stunden auf die Festung hinauf, promeuirte oben herum und wieder zurück 
und erzählte mir anderen Tages lachend dieses, seiner Ansicht nach gelungene 
Bravourstückchen, das ihm zwar etwas sauer geworden, im Uebrigcn ganz gut 
bekommen sei, denn er fühle sich nichts weniger als marode davon; aber 
einen Schnitt Pilsener habe er sich trotz Lebercirrhosc zur Belohnung oben doch 
geben lassen, das ihm so famoö gemundet, wie noch nie ein Trunk in seinem 
Leben! 
Am 17. September reiste Patient in seine Hcimath zurück, im Gewicht von 
82 Kilo auf 64Vs (um 35 Pfd.) hcruntcrgeschmolzen, mit bedeutend verbessertem 
Gesundheitszustand, da der Schlaf Nichts zu wünschen übrig ließ, Stuhlgang 
täglich gefärbt erfolgte, Appetit eher zu viel als zu wenig vorhanden, Patient 
frei von Schmerzen im Leibe und Kreuze, kräftig in seinen Bewegungen und 
heiter im Gemüthe mit froher Aussicht in die Zukunft! In der letzten Gym 
nastikstunde konnte ich in der Knierückenlage, in welcher die Bauchmuskeln am 
meisten erschlafft sind, mit den 10 Fingern ganz gut unter die kurzen Rippen 
gelangen und in den Eingeweiden herumarbeiten, ohne irgend einen Widerstand 
zu finden, so weich und elastisch war seine Bauchdccke und bei der langsitzenden 
Rumpfrückbeugung auf dem Klappgcstell konnte er mit dem Kopfe den Boden 
berühren und leicht allein wieder in die aufrechte Haltung zurückgelangen, 
woran bei Beginn der Kur natürlich nicht zu denken war, denn damals konnte 
er sitzend aus der Rückenlage nicht ohne meine Hilfe wieder in die Höhe ge 
langen! Patient besuchte mich seitdem ein paar Mal wieder, wobei ich mich 
von dem Fortbestand des guten Kurresultats überzeugen konnte, er erzählte mir 
auch, daß er wieder seinen alten Posten aber mit kürzerer Arbeitszeit über 
nommen habe, wobei er sich recht wohl befinde, er habe ferner den strengen 
Winter gut überstanden, sogar einmal ein Tänzchen mitgemacht; ich fand seine 
Gestalt noch so schlank wie beim Abgänge, seine Gesichtsfarbe aber noch besser 
und auf meine Frage nach dem Maße seines Leibesumfanges sagte er mir. 
daß er im Herbste alle Kleider — Ueberzieher, Oberrock, Westen und Hosen 
dem Schneider zum Engermachen habe übergeben müssen, denn alle seien 
ihm viel zn wert gewesen, die Beinkleider oben gut 25 Cm.! 
Und was lernen wir nun aus dieser Geschichte? Ohne alle Frage 
zweierlei, nämlich: daß sowohl die Diagnose eines Approbirtcn, als auch 
die Prognose eines medizinischen Hohepriesters nicht unfehlbar sind, denn 
da der Patient in Wahrheit geheilt wurde, heute noch lebt und sich wohl 
befindet, so muß entweder der Professor und große (?) Kliniker Dr. Nie- 
meyer sich geirrt haben, wenn er L e b e r c i r r h o s e für unheilbar er 
klärte oder aber der approbirte Dr. med. M einest in der Diagnose, wenn 
Prof. Niemeyer mit seinem Ausspruche Recht hat, oder auch ist noch der 3. Fall 
sehr wahrscheinlich, daß nämlich alle Beide von ihrem Standpunkte aus 
Recht haben können und der Ausspruch: „unheilbar" nur für die 
medizinische Behandlung gilt, der Laie somit die gute Lehre sich daraus 
ziehen kann und sollte, daß'man nicht immer gleich sein Testament zu machen 
braucht, wenn die Untersuchung und der Ausspruch eines studirten, examinirten
	        
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