Volltext: Der Naturarzt 1880 (1880)

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mit der griechischen, und den man, seitdem er von dem Könige Philomctor auS 
Alexandria nach Memphis berufen worden war, den neuen Herophilus nannte, 
trat in die Wohnung des Thorhüters, um nach den» kleinen Kranken zu sehen. 
K l e a hielt, als er eintrat, Philo noch immer auf ihrem Schooße, vor ihr 
auf einem hölzernen Sessel stand in einem Kohlenbecken ein kleiner kupferner 
Kessel, den der Arzt gebracht hatte und an dem ein langes Rohr befestigt war. 
Dies letztere bestand aus zwei Theilen, welche durch einen ledernen Cylinder- 
verbünden waren, der das obere Stück hin und her zu bewegen gestattete. 
Von Zeit zu Zeit führte Klea das Rohr an die Brust des Kindes und ließ 
es den heißen Wasserdampf einathmen. „Hat es lösend gewirkt, wie es sollte?" 
fragte der Arzt. „Ich glaube wohl," entgcgnete Klea, „es rasselt doch nicht 
mehr so in der Brust, wenn der arme Schelm Luft schöpft." Der Alte nä 
herte sein Ohr dem Munde des Kleinen, legte seine Hand auf seine Stirn und 
sagte: „Wenn das Fieber sich mäßigt, so hoffe ich das Beste. Dies Dampf- 
athmen ist. ein gutes Mittel für solche böse Verschleimung, und ehrwürdig ist 
es dazu, denn schon in den ältesten Schriften des Hermes wird es angerathen. 
Aber nun ist's damit genug. Nimm jetzt ein leine nesTuch (das da wird's 
thun, wenn's auch nicht schön ist), leg es zusammen, feuchte cs mit 
kaltem Wasser hübsch an — und nun zeig' ich Dir, wie man es dem 
Kinde um den Hals legt. — Von Viertelstunde zu Viertelstunde wechselst 
Du den Umschlag, und dazwischen gehst Du in's Freie und spülst Dir die 
Brust mit frischer Luft aus, denn Deine Wangen sind bleich. Um Mittag 
gehst Du etwas in Dein Stübchen und versuchst zu schlafen. Man darf kein 
Ding übertreiben, und Du wirst mir gehorchen. Das arme Ding da hat's 
gut, besser als manches leidende Königskind, dem gedungene Wärterinnen Alles 
thun und reichen, die aber nicht geben können, was sie nicht haben, die liebe 
volle, freundliche, niemals müde Geduld." Klea nickte dem Arzte töchterlich- 
freundljch zu und blieb allein mit dem kranken Kinde, wechselte die Um 
schläge und freute sich über seinen immer freier und geräuschloser wehenden 
Athem. 
Der Verfasser dieses Romans, G e o r g Ebers, ist der Finder und Uebersetzer der 
uralten, als Papyrus Ebers, berühmt gewordenen Handschrift, welche von der medi 
zinischen Wissenschaft der alten Aegypter Kunde giebt. Da darf man wohl annehmen, daß 
er diese Episode nicht lediglich erfunden hat und daß also schon vor 3000 Jahren die 
berühmtesten Aerzte ungefähr so verfuhren, wie jetzt unsere Naturärzte. Für 
die moderne Wissenschaft ein ziemlich beschämendes Erkenntniß! A. v. Scefeld. 
Zur Behandlung der Menschenblattern. 
Motto: Spät kommt ihr, aber ihr kommt doch! 
Kürzlich machte durch die Tagesblätter nachstehender Artikel aus Posen 
die Runde, der keineswegs so wunderbar oder unglaublich klingt, als er auf 
den ersten Blick erscheinen dürfte: 
Ja unserem Spital hatte sich jüngst ein Pockenkranker, wie das manchmal zu 
geschehen pflegt, im Delirium durch das Fenster aus dem ersten Stockwerk geflüchtet 
und die Nacht, nur mit einem Hemde bekleidet, bei einer Temperatur von 10 Grad C. 
unter Null unter freiem Himmel zugebracht. Als man ihn am Morgen darauf 
wieder in's Spiel zurückbrachte, war er nicht nur fieberlos, sondern auf dem Wege ent 
schiedener Besserung, obgleich am Tage vorher die Krankheit den höchsten Grad erreicht 
hatte. Die gleiche Beobachtung war auch an zwei Frauen gemacht worden, die gleich 
falls entwischen konnten und eine ganze Nacht in einer kalten Hausflur zugebracht hatten. 
Darauf verfolgten die Aerzte das Experiment weiter, indem sie einige andere Pocken 
kranke sofort nach ihrer Ankunft in ein ungeheiztes Zimmer bringen ließen, dessen
	        
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