Volltext: Der Naturarzt 1880 (1880)

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Büchsen tut Hause sich halten kann. Ein zweites wirkliches Surrogat ist 
ferner das sogenannte ,,Nestle'sche Kindermehl", ein gelbliches Pulver, 
welches aus einem Gemenge eingedampfter Milch und Weizenmehl be 
steht und beim Gebrauche ebenfalls ntit dem 4—(stachen an heißem Wasser 
versetzt werden muß. 
Noch eine Menge anderer Surrogate, welche aber keinen Tropfen wirklicher 
Milch enthalten, sondern solcher vielmehr noch zugesetzt werden müssen, sind von 
Aerzten und gewinnsüchtigen Spekulanten empfohlen worden, aber man hat 
■— doch Nichts gefunden, was so verdaulich und nährend zugleich für die 
kleinen Kinder wäre, wie die Kuhmilch, geschweige erst tvic die Frauenmilch! 
Ich will davon hier nur die sogenannte Liebig'sche Suppe für Säug 
linge erwähnen, welche eine zeitlang Aufsehen gemacht hat, verführt durch 
den Namen des berühinten Chemikers, welcher damit aber noch lange nicht 
der Mutter Natur das Milch geheimniß abgelauscht hat; seine Süng- 
lingssuppe ist nur eine Verdünnung von Weizenmehl, Malz mehl und 
ein wenig kohlensaurem Kali mit Milch und erfordert eine sehr um 
ständliche und sorgfältige Zubereitung; deshalb haben der Stuttgarter Chemiker 
Löflund und der Dresdner Apotheker Liebe ein Extrakt aus Malz, 
Weizenmehl und Kali bereitet, welches durch einfache Auflösung in ver 
dünnter Kuhmilch diese Liebig'sche Suppe in kürzester Zeit und ohne 
Gefahr des Mißlingens bereiten läßt. 
Aber noch viel weniger zuträglich als erwähnte Milchsurrogate sind be 
sonders zwei, welche Faulheit, Dummheit und Geiz als Säuglingsfutter er 
dacht haben, nämlich der Mehlbrei und der Schlolzer! ad Mehlbrei: aus 
grobem Mehl und Milch wird ein Stampf gekocht, so dick, daß der Löffel 
darin stecken bleibt; derselbe wird der Bequemlichkeit halber oft auf einige Tage 
in Vorrath bereitet und dem Kinde mit einen: schmutzigen Löffel massenhaft 
in den Mund gestopft! Das ist der kindermörderische Mehlbrei, das Lieb 
lingsfutter des schwäbischen Landvolks für ihre Säuglinge, das gerade Gegen 
theil von all dem, worauf das neugeborene Kind als zweckmäßige und gesunde 
Nahrung von der Natur angewiesen ist, wohl das Aeußerste, was menschlicher 
Unverstand für die armen Würmer erfinden konnte! ad S ch l o tz e r: das ist 
bekanntlich ein schmutziger Leinwandlappen, der mit in Zuckerwasser erweichten! 
Schwarz- oder Weißbrod oder Zwieback gefüllt ist und den armen Würmern 
zwischen die Lippen gesteckt wird, wodurch denselben das Schreien fast unmög 
lich gemacht ist, wenn sie Hunger haben oder ihnen sonst etwas wehe thut! 
Eine barbarische Rohheit im 19. Jahrhundert! Warum hier die hohe Ob 
rigkeit nicht einschreitet, angefeuert durch die Aerzte und Geistlichen, welche 
doch sonst gleich bei der Hand find, wo es gilt, dem Volke einen Zwang 
aufzuerlegen, ist mir unbegreiflich! Hat man einen I m p f z w a n g einzu 
führen sich nicht gescheut, einen Zwang für eine pure Illusion, um Kin 
der vor dem Pockentod zu schützen, der aber lange nicht so häufig ist, als 
man dem Volke vorheuchelt, warum führt man dann nicht auch einen Zwang 
für Mütter ein, damit sie ihre kleinen Kinder selbst stillen und — wenn 
ihnen dies absolut unmöglich ist, — dieselben nur mit guter Kuhmilch 
aufziehen, um solche vor dem Hungertod zu schützen, an dem Tausend 
mal mehr Kinder sterben, als an den Pocken? Also ihr Parlamentsmitglieder, 
machet alsbald einen Antrag auf eine hohe Strafe wegen Mehlbrei und 
Schlotzer und auf Zwang für Mütter zum Selbststillen ihrer Kinder 
mindestens im ersten halben Jahre. Dann erst heißt es: Vivat Ger 
mania mit ihrer robusten, weil gesimgteu Nachkommenschaft! (Schluß folgt.)
	        
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