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vorherrscht, dass durch Komplikationen ein neues Hinderniss für den Ab
fluss der Galle gesetzt ist; diese Komplikationen, namentlich der Katarrh
der Galle n w ege oder die Verstopfung derselben durch
Gallensteine, treten ziemlich häufig zur Cirrhose hinzu. Ist der Abfluss
der Galle gänzlich aufgehoben so genügt selbst die geringe Menge von
Galle, welche in den noch vorhandenen Zellen bereitet wird, um intensiven
Ikterus hervorzurufen. Von der Kompression der Gallengänge hängt auch zum
grössten Theil die hellere und mehr graue als braune Färbung der Faeces ab,
aber auch davon, dass durch den Schwund der Leberzellen die Gallenproduction ver
mindert isfc. So wenig nun aber auch die Funktionen der Leber in ihrem ganzen
Umfange bekannt sind, so sicher wissen wir doch, dass die Bereitung der Galle
nicht die einzige Funktion der Leberzellen ist. Die Zeiten, in welchen
man das ,,fel tauri inspissatu m" in Pillen verordnete oder gar die Kranken
esslöffelweise frische Ochsengalle verschlucken liess, „um die Funktion der
Leber zu ersetzen“, liegen zwar noch nicht lange hinter uns, aber der Stand
punkt, von dem derartige Verordnungen ausgingen , ist als überwunden zu be
trachten! (?)*).
Jedenfalls ist die Leber von grösster Bedeutung für die Ernährung überhaupt
und namentlich für das Blut und es steht fest, dass ein massenhafter Untergang
von Leberzellen tief in die Oekonomie des Organismus eingreift. Die Beein
trächtigung der Ernährung bei Kranken mit Lebercirrhose hängt freilich
zum Theil von dem vorhandenen Magen-Darmkatarrh ab ; vielleicht mag auch die
strotzende Füllung der Darmvenen den Uebertritt von Substanzen aus dem Darm in
diese Gefässe hemmen: es muss aber nothwendiger Weise noch eine andere Ursache
für die Störung der Ernährung vorliegen, da die Kranken kraftloser werden,
st ärker abmagern, eine trockenere Haut bekommen und kachektischer
aussehen, als solche, welche an einfachem Magen-Darmkatarrh leiden und bei
welchen der Abfluss des Blutes aus den Darmvenen auf andere Weise gehemmt ist.
Ob das Leiden der Ernährung auf der gehemmten Bildung von Zucker in der
Leber beruhe , oder ob es von dem Ausfall anderer, unbekannter Funktionen der
Leber abhänge, lässt sich bei dem heutigen Stand der Physiologie nicht ent
scheiden.
In einzelnen Fällen treten kurze Zeit vor dem Tode schwere Grehirn-
erscheinungen auf; manche Kranken verfallen in Delirien und schliesslich
in tiefen Sopor (Schlummer); da man aber bei der Section im Gehirn keine Ver
änderungen gefunden hat, so muss man diese Symptome von einer V ergiftung
ableiten; die Substanzen aber, welche dieselbe hervorgebracht haben, sind uns
noch unbekannt! Man hat früher die resorbirten Gallenbestand-
theile beschuldigt, jene Gehirnerscheinungen hervorzurufen, welche man deshalb
als c h o 1 ä m i s c h e Vergiftungssymptome bezeichnete. Indessen der Umstand,
dass nicht selten bei ganz leichten Graden von Gelbsucht plötzlich Gonvulsionen etc.
eintreten und ebenso wieder in ganz schweren, wo die Ueberladung des Blutes mit
den resorbirten Gallenbestandtheilen viel bedeutender ist , solche ausbleiben —
spricht gegen diese Annahme.
Prof. Frerichs hat nun eine andere Hypothese aufgestellt, nämlich: dass
nicht die Resorption von Galle , die sog. Cholämie gefährlich sei, sondern die
bei ausgebreiteter Entartung der Leber vorkommende Acholie, d. h. derjenige
Zustand, bei welchem die schwer und diffös erkrankte Leber nicht mehr im Stande
sei, aus dem ihr zugeführten Material Galle zu bereiten. Wenn dieser für
die Oekonomie des Körpers überaus wichtige Prozess ausfalle, entständen statt der
normalen Produkte des Stoffwechsels — ab norme Umsatzprodukte und
aus diesen für den Organismus feindliche, giftige Substanzen. Diese
seien es daher, durch welche jene schweren InnervationsStörungen herbeigeführt
werden. Aber auch die Richtigkeit dieser Erklärung ist noch keineswegs über allen
Zweifel erhaben!
*) Anmerkung der Redaktion. Unter fei tauri inspissatum verabreichte der
Apotheker „eingedickte O ch s e n g a 11 e", welche von der Staatsheilkunde früher als
vortreffliches Mittel bei Verdauungsstörungen verordnet wurde, aus welche kindische
Zeit der Wissenschaft Niemeyer jetzt schon mitleidig lächelnd zurückblickt! Sic transit
gloria mundi! Und die Impfung ist auch so ein Stück sei tauri inspissatum " die
w i r jetzt schon für einen überwundenen Aberglauben-Standpunkt halten, nicht aber —
die Staatsheilkunde. Wann wird für dieselbe der Tag der Erkenntniß anbrechen?