Volltext: Der Naturarzt 1880 (1880)

— 28 
vorherrscht, dass durch Komplikationen ein neues Hinderniss für den Ab 
fluss der Galle gesetzt ist; diese Komplikationen, namentlich der Katarrh 
der Galle n w ege oder die Verstopfung derselben durch 
Gallensteine, treten ziemlich häufig zur Cirrhose hinzu. Ist der Abfluss 
der Galle gänzlich aufgehoben so genügt selbst die geringe Menge von 
Galle, welche in den noch vorhandenen Zellen bereitet wird, um intensiven 
Ikterus hervorzurufen. Von der Kompression der Gallengänge hängt auch zum 
grössten Theil die hellere und mehr graue als braune Färbung der Faeces ab, 
aber auch davon, dass durch den Schwund der Leberzellen die Gallenproduction ver 
mindert isfc. So wenig nun aber auch die Funktionen der Leber in ihrem ganzen 
Umfange bekannt sind, so sicher wissen wir doch, dass die Bereitung der Galle 
nicht die einzige Funktion der Leberzellen ist. Die Zeiten, in welchen 
man das ,,fel tauri inspissatu m" in Pillen verordnete oder gar die Kranken 
esslöffelweise frische Ochsengalle verschlucken liess, „um die Funktion der 
Leber zu ersetzen“, liegen zwar noch nicht lange hinter uns, aber der Stand 
punkt, von dem derartige Verordnungen ausgingen , ist als überwunden zu be 
trachten! (?)*). 
Jedenfalls ist die Leber von grösster Bedeutung für die Ernährung überhaupt 
und namentlich für das Blut und es steht fest, dass ein massenhafter Untergang 
von Leberzellen tief in die Oekonomie des Organismus eingreift. Die Beein 
trächtigung der Ernährung bei Kranken mit Lebercirrhose hängt freilich 
zum Theil von dem vorhandenen Magen-Darmkatarrh ab ; vielleicht mag auch die 
strotzende Füllung der Darmvenen den Uebertritt von Substanzen aus dem Darm in 
diese Gefässe hemmen: es muss aber nothwendiger Weise noch eine andere Ursache 
für die Störung der Ernährung vorliegen, da die Kranken kraftloser werden, 
st ärker abmagern, eine trockenere Haut bekommen und kachektischer 
aussehen, als solche, welche an einfachem Magen-Darmkatarrh leiden und bei 
welchen der Abfluss des Blutes aus den Darmvenen auf andere Weise gehemmt ist. 
Ob das Leiden der Ernährung auf der gehemmten Bildung von Zucker in der 
Leber beruhe , oder ob es von dem Ausfall anderer, unbekannter Funktionen der 
Leber abhänge, lässt sich bei dem heutigen Stand der Physiologie nicht ent 
scheiden. 
In einzelnen Fällen treten kurze Zeit vor dem Tode schwere Grehirn- 
erscheinungen auf; manche Kranken verfallen in Delirien und schliesslich 
in tiefen Sopor (Schlummer); da man aber bei der Section im Gehirn keine Ver 
änderungen gefunden hat, so muss man diese Symptome von einer V ergiftung 
ableiten; die Substanzen aber, welche dieselbe hervorgebracht haben, sind uns 
noch unbekannt! Man hat früher die resorbirten Gallenbestand- 
theile beschuldigt, jene Gehirnerscheinungen hervorzurufen, welche man deshalb 
als c h o 1 ä m i s c h e Vergiftungssymptome bezeichnete. Indessen der Umstand, 
dass nicht selten bei ganz leichten Graden von Gelbsucht plötzlich Gonvulsionen etc. 
eintreten und ebenso wieder in ganz schweren, wo die Ueberladung des Blutes mit 
den resorbirten Gallenbestandtheilen viel bedeutender ist , solche ausbleiben — 
spricht gegen diese Annahme. 
Prof. Frerichs hat nun eine andere Hypothese aufgestellt, nämlich: dass 
nicht die Resorption von Galle , die sog. Cholämie gefährlich sei, sondern die 
bei ausgebreiteter Entartung der Leber vorkommende Acholie, d. h. derjenige 
Zustand, bei welchem die schwer und diffös erkrankte Leber nicht mehr im Stande 
sei, aus dem ihr zugeführten Material Galle zu bereiten. Wenn dieser für 
die Oekonomie des Körpers überaus wichtige Prozess ausfalle, entständen statt der 
normalen Produkte des Stoffwechsels — ab norme Umsatzprodukte und 
aus diesen für den Organismus feindliche, giftige Substanzen. Diese 
seien es daher, durch welche jene schweren InnervationsStörungen herbeigeführt 
werden. Aber auch die Richtigkeit dieser Erklärung ist noch keineswegs über allen 
Zweifel erhaben! 
*) Anmerkung der Redaktion. Unter fei tauri inspissatum verabreichte der 
Apotheker „eingedickte O ch s e n g a 11 e", welche von der Staatsheilkunde früher als 
vortreffliches Mittel bei Verdauungsstörungen verordnet wurde, aus welche kindische 
Zeit der Wissenschaft Niemeyer jetzt schon mitleidig lächelnd zurückblickt! Sic transit 
gloria mundi! Und die Impfung ist auch so ein Stück sei tauri inspissatum " die 
w i r jetzt schon für einen überwundenen Aberglauben-Standpunkt halten, nicht aber — 
die Staatsheilkunde. Wann wird für dieselbe der Tag der Erkenntniß anbrechen?
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.