Volltext: Der Naturarzt 1880 (1880)

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schon innerhalb der Mauern befindet, ja, wenn er im Senat selbst sitzt, die 
Fahne der Empörung schwingt und der alten durch Jahrhunderte geheiligten Constitution 
den Krieg erklärt? Ein Homöopath im w ü r tt emb e r g i s ch en Medicinalcollegiurn 
und nun sogar streitbarer Parteiführer in der staubigen Arena der Litteratur ! — Grimm 
und Entsetzen oder verächtliches Achselzucken im Lager der legitimen Praxis ! Doch, bange 
machen gilt nicht! Die Mauern Jerichos'werden von dieser Posaune so schnell nicht ein 
fallen, wenn es auch einen kleinen Culturkampf absetzen sollte; doch auch dieser wird nicht 
so fchlintm werden. .Segelt man ja, nachdem die gefährliche Revolution der physiologischen 
Medicin im Sand verlaufen, iu beiden Lagern unter derselben Flagge des S p e c i f i e i s - 
m u s und so wird auch dieser Krieg auf ein Compromiß hinauslaufen, zu dem die Vor 
bereitungen schon gemacht sind. Giebt es ja im Lager der Allopathie (wenn man der 
Kürze halber so sagen darf) schon so manchen practischen Arzt, der es nicht verschmäht, 
unter Umständen, namentlich wenn es vont Publicum gewünscht wird, mit der Homöo 
pathie zu liebäugeln, oder zu verstehen zu geben, daß man a deux mains zu 
practiciren verstehe; und auf der andern Seite fehlt es a u ch nicht an Homöopathen, die, 
wenn es mit den Decellionteln nicht Mehr gehen will, gelegentlich auch' gewöhnliche 
Dosen administriren. 
Daß unter Umständen auch die Homöopathen mit sich reden lassen, zeigt die erschienene 
Schrift des Herrn Ober-Med.-Raths vr. Sick in Stuttgart: „Die Homöopathie 
am Krankenbett e". Nach pag. 24 ist die Homöopathie eine besondere Art 
desjenigen Zweigs der Medicin, welche uns lehrt, durch der Natur entnommene, auf das 
Leben der Gesunden gewöhnlich nicht, oder wenigstens in anderer Weise einwirkende 
Reize, die Störung der Gesundheit zur Heilung zu bringen." Das lautet schon etwas 
anders, als der gewöhnliche homöopathische Grundsatz der Wahl des für den gegebenen 
Krankheitsproeeß passenden Mittels nach der A e h n l i ch k e i t des Gesummt- 
b i l d e s der Erscheinungen, w e l ch e dasselbe Mittel, Gesunden ein 
gegeben, h e r v o r g e b r a ch t hat. Ebenso reservirt heißt es pag. 81 : „Es kann kein 
Zweifel obwalten, das vollständige Bild einer natürlichen Krankheit mit ihren Entwicke 
lungsstufen bekommt man nie durch Arzneiprüfungen, geschweige denn bei der Prüfung 
Eines Mittels." Und ferner (pag. 32): „Daß' China und Cbinin bei Gesunden zur 
Wirkung gelangt, in einzelnen Fällen wahre Fleberparoxysmen erzeugt (wie wohl noch 
eine Menge anderer stark wirkender Mittel) ist zweifellos, ebenso sicher ist aber, daß 
dies keineswegs in allen Fällen, vielmehr nur in sehr wenigen geschieht; ebenso bei 
Belladonna, die keinen Scharlach, sondern nur Hirnsymptome und Schling 
beschwerden erzeugt". 
Vortrefflicher Haber! 
Ihr füttert die Pferde mit Sondern und Aber; 
Der Mann, der das Sondern und Aber erdacht, 
Hat sicher aus Häckerling Geld schon gemacht! 
Nicht minder diplomatisch heißt es pag. 37 : „Das Heilen hat übrigens auch in 
der Homöopathie seine Grenzen; schwere Läsionen der Körperorgane destructiver 
Tendenz, wie auch die heftigsten Anfülle acuter Jnfectionskrankh eiten sind 
den homöopathischen Mitteln, wie den anderen Heilmethoden unzugänglich." Ferner (38): 
„Es giebt eine große Reihe von Krankheiten,* welche bei jeder Behandlung zum Tode 
führen, eine zweite noch größere, welche bei jeder Behandlung, auch bei gar keiner, in 
wenigstens relative Genesung übergehen, so daß die Zahl Derer, bei welcher die Art der 
Behandlung wirklich von Einfluß ist, ungleich geringer ist, als die Meisten glauben". 
Ferner pag. 39: „In der ungeheueren Mehrzahl der Krankheiten fällt dem Arzte du Auf 
gabe zu, trotz der im Körper nicht mehr zu tilgenden Ursache, die durch sie gesetzte Störung 
zum Ausgleich zu bringen. In diesem Unternehmen hat er mächtige Unterstützung durch 
die dem Körper zukommenden regulatorischen, die normale Lebensthätigkeit sichernden und 
wiederherstellenden Vorgänge (Naturheilkraft). Diese zu unterstützen und zu leiten, ist, 
wenn die causale Therapie im Stich läßt, die nächste Aufgabe des Arztes, indem er hierzu 
die normal auf den Körper wirkenden Lebensreize, Luft, Wärme, Wasser, Nahrungs 
mittel k. verwendet. (Soyons amis ! Das i st ja die reine N a t u r Heil 
methode!) In Beziehung auf die Warnung vor dem Opium- und Morphiummißbrauch 
wird dem Verfasser wohl Jeder beistimmen, der in der Medicin etwas mehr als ein Ge 
werbe sieht. 
Ferner notiren wir mit Vergnügen die Anerkennung der h y d r o p a t h i s ch e n 
Behandlung beim Typhus (und damit wohl bei den meisten sogenannten zymo- 
tischen Krankheiten), ebenso, daß derselbe den Schwärmern für die Salicylsäure bei Rheu- 
* Doch wohl nur Krankheitsfälle; es giebt ja keine unheilbaren Krankheiten, 
sondern nur u n h e i l b a r e K r a n k e.
	        
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