Volltext: Der Naturarzt 1880 (1880)

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Tauner geraume Zeit unter beständiger Ueberwachung stand. Es wurde nichts beobachtet, 
was auch nur den geringsten Anhalt zum Verdacht gegeben hatte. 
Ferner lautete ein Bericht: 
„Das vierzigtägige Fasten Dr. T a n n e r 's sinkt mehr und mehr zu einem 
Schau st ü cf herab. Die G a llerie ist beständig von Besuchern angefüllt, die ans reiner 
Neugierde kommen, um einen alten gebrochenen Mann anzuglotzen, der dem Tode nahe ist 
und entsetzlich an Durst leidet, da sein zum Erbrechen geneigter Magen alles Wasser 
wieder von sich giebt, sti es nun Brunnen-, Quell-, Mineral-, heißes gesottenes oder Eis 
wasser. Jeder neue Anfall bringt ihn dem Punkte, an welchem eine Erholung unmöglich 
sein wird, näher. Es ist peinlich mit anzusehen, wie der Arme sich durch's Zimmer schleppt, 
um zu beweisen, wie viel Stärke er noch besitze. Er versichert seinen Wächtern mit einem 
Blicke, der eisernen Entschluß ausdrücken soll, daß er nicht erschöpft sei und sich so ziemlich 
wohl befinde. Gestern Mittag trank Dr. Tanner zwei Unzen kohlensaures Wasser und 
klagte darauf über Schauer; man deckte ihn mit wollenen Decken zu und ließ ihn einen, 
schweren nnb langen Schlaf machen. Später machte er einen kleinen Spaziergang, wonach 
er ein heißes Bad (106 Grad Wärme) nahm. Er blieb eine halbe Stunde in der Wanne 
und schien darauf sehr erfrischt. Die Aerzte, welche belebende Mittel in Bereitschaft hielten, 
da sie die kritische Lage des Patienten erkannten, beobachteten ihn sehr scharf. Ueber die 
unmittelbar drohende Gefahr laufen die Ansichten der beiden ärztlichen Schulen einander 
schnurstracks entgegen. Die Eklektiker halten die Uebelkeit und den schweren Gallenanfall 
für nicht besonders gefährlich, während die gewöhnlichen Praktiker die ernstesten Resultate 
voraussagen und nicht mit ihrer Ueberzeugung zurückhalten, daß die Krisis jeden Augenblick, 
eintreten kann, falls nicht sofort Hilfe eintritt. 
Und über den Schluß der Tanner'schen Fastenprobe telegraphirt ntan dem 
Londoner „Standard": 
„Als das Signal ertönte, welches ankündigte, daß seine Fastenzeit vorüber, schwang, 
Dr. Tanner sich ans einen Sessel und verschlang einen Pfirsich, trotz der Einwendungen 
seiner Wärter. Die anwesende Menge brach in stürmischen Jubel aus und viele Zuschauer 
umarmten ihn. Außerhalb des Vorzimmers befanden sich zwölfhnndert Leute, die ihn mit 
großer Herzlichkeit begrüßten. Dr. Tanner wurde nunmehr gewogen; sein Gewicht betrug 
ISO 1 /* Pfund; sein Puls war 92, Athem 17. .Nachdem Dr. Tanner aus der Waage 
gestiegen, trank er sofort ein Glas Milch und verlangte eine Wassermelone. Die Aerzte 
machten Einwendungen, allein Dr. Tanner verzehrte mit Gier mehre Schellen, von denen 
er allerdings nur den Saft schluckte. Die Aerzte erklärten, er werde sich tobten , allein 
Dr. Tanner fuhr fort die Wassermelone zu essen. Während des Nachmittags aß er zu 
wiederholten Malen Wassermelonenscheiben. Nachdem er ein Glas Ungarwein getrunken,, 
aß er ein Pfund Beefsteak und verschlang Alles bis auf die harten Theile. Er trank ein 
weiteres Glas Wein, welchem er eine scheibe Melone folgen ließ. Hierauf aß er einen 
Apfel und verlangte noch ein Beefsteak, von welchem er ein halbes Pfund verzehrte, worauf 
er abermals eine Unze Wein trank. Sein Magen behielt die volle Kost, die er zu sich 
genommen hatte; es fand kein Erbrechen statt. Er schien vortrefflicher Laune und erklärte 
ganz wohlauf und am Montag arbeitsfähig zu sein. Gegen 11 Uhr zog er sich zurück, 
allem Anscheine nach vollständig außer Gefahr. Die Aerzte waren im höchsten Grade er 
staunt über die Leichtigkeit, mit welcher sein Magen die Nahrung verdaute. Sie ^ hatten 
sich über eine Diät verständigt, allein Dr. Tanner handelte auf eigne Faust und erschreckte 
sie durch seine Unvorsichtigkeit. Er verspottete sie und erklärte nicht zu Schaden gekommen 
zu sein. Im Ganzen verlor Dr. Tanner während seines lOtägigen Fastens 36 Pfd.. 
Im Ganzen hat er Unzen Wasser getrunken. Sein Athem wechselte zwischen 13 
und 18; sein Muskeldruck zwischen 191 nnb 158. Die Körperwärme zeigte geringe 
Abweichungen vom Normalpunkte. Thatsächlich ist keine Abnahme zu verzeichnen, trotz^der 
bedeutenden Entziehung von Phosphaten und der Abspannung des Nervensystems. Sein. 
Geist war klar und thätig geblieben. Der Verlust an Wasser durch die Lungen war viel, 
geringer, als das gewöhnlich von Physiologen angegebene Minimum. 
Was ich nun in diesen wohl von den 4 beobachtenden Aerzten verfaßten 
Berichten, deren Richtigkeit ich vorerst nicht bezweifeln will, vermisse — 
ist die Angabe der gewöhnlichen täglichen Ausgaben des Hnngerers durch. 
Blase und Mastdarm, welcher Umstand gerade so wichtig ist, wie die An 
gabe der täglichen Einnahmen und kann ich dieses Manko in ärztlichen 
Berichten nicht begreifen, während sie uns doch den starken Bären aufbinden, daß. 
Dr. Tanner während seiner 40 Fasttage um 2 Zoll kürzer geworden sein soll!! 
Im Uebrigen ist an der ganzen Geschichte — 0 b sie nun wahr oder-
	        
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