Volltext: Der Naturarzt 1880 (1880)

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macht seine Enthaltsamkeit um so bemerkenswerther. Während seines Rittes 
gestern Abend beklagte er sich über die drückende Luft. Er sprach wenig und 
sah ermüdet und abgewelkt aus. Bei seiner Rückkehr war sein Gang schwach, 
sein Puls 88, sein Athemholen 15 und seine Wärme 98. Er verhielt sich 
ganz still. Die Nachtruhe erholte ihn etwas und die frühe Morgenausfahrt 
that ihm gut. Nach den schweren Regengüssen heute schien er etwas ange 
regter. Diejenigen, welche ihn beobachten, beurtheilen seinen Kräftezustand und 
seine Lebenskraft günstig; auch schläft er mehr den Tag über. Er ist geistig 
frisch und munter und die früheren Zeichen von Geistesverwirrung haben sich 
nicht wieder eingestellt, seitdem er Wasser trinkt. Die merkwürdigste 
Thatsache ist, daß seine Statur abnimmt. (?) Dr. Tanner maß 5Fuß ö 1 /* 
Zoll, als er sein Fasten antrat, während er heute zwei Zoll weniger 
mißt. (?) Das Wasser belebt den Dvctor nicht mehr, wie dies früher der 
Fall gewesen. Er behauptet, keine Schmerzen zu spüren, allein sein Aussehen 
hat sich verschlimmert. Er ist mehr zum Reden aufgelegt und hat sich viel 
Bewegung gemacht, allein seine Lebenskräfte sind sichtbar im Abneh 
men. Seine Willenskraft mag ihm über die 40 Tage hinweghelfen, allein 
die Aerzte befürchten für seinen Verstand. 
Und am 36. Tage der Fastenzeit lautete das Telegramm vom 2. August: 
„Dr. Tanner genoß eines guten Schlafes in der Nacht vom Sonnabend und hatte 
gestern Morgen ein frisches Aussehen. Während des gestrigen Tages hatte er indeß häufige 
Anfälle von Uebelkeit und Erbrechen. Nachmittags versuchte er sich anzukleiden, aber ein 
Anfall von Uebelkeit verhinderte ihn daran. Er trank gestern nichts außer ein wenig 
kohlensaures Wasser; um 9 Uhr Abends legte er sich litebcr und schlief anscheinend. Die 
letzte Prüfung der Stärke Dr. Tanner's per Dynamometer ergab 82 Kilogramm. 
Seine Temperatur war gestern 98,4 und sein Puls 70. Seine Aerzte halten ihn für schwächer 
und glauben, daß sein Magen sich in höchst gereiztem Zllstande befinde. Heute zum ersten 
Male räumte Dr. Tanner ein, daß er sich schwach fühle, aber er ist noch immer seines 
Erfolges sicher. Seine Augen sind glanzlos, seine Zunge ist gefurcht und sein Gesicht ab 
gemagert. Er leidet noch immer an Uebelkeit itnb trinkt Mineral - und heißes Wasser. 
Heute Morgen machte Dr. Tanner eine Spazierfahrt im Parke. Um 2 Uhr Nachmittags 
war sein P n l s s ch l a g 74, seine Temperatur 99 und Athemholen 15. Das Dynamometer 
konnte er bis 82 Kilogramm hinausdrängen." 
Am 4. August wurde aus New-Jork gemeldet: 
„Dr. Tanner hat seit Mitternacht nicht an Uebelkeit gelitten und sein Magen scheint 
sich in besserer Verfassung zu befinden. Er machte gestern Morgen seine übliche Spazier 
fahrt, aber da sie ihm nicht wohlthat, hat er beschlossen, die Ausfahrten bis zum Ende 
seines Fastens (nächsten Sonnabend Mittag) aufzugeben. Er trinkt jetzt weniger Wasser; 
heute Morgen um 1 Uhr genoß er eines gesunden Schlafes, da er wegen der durch das 
Gewitter erzeugten Abkühlung der Atmosphäre in Decken gut eingehüllt war. Vier 
Doktoren beobachten ihn. - Dr. Tanner wurde während der Nacht von zweimaligem 
Erbrechen befallen; er trank drei Unzen Eiswasser und hatte einen unruhigen Schlaf. Um 
9 Uhr stand er auf, kleidete sich ohne Anstrengung an und nahm wiederum Eiswasser zu 
sich. Später klagte er über schlechtes Befinden, aber gegen Mittag schien sein Zustand so 
ziemlich derselbe zu sein wie gestern. — Es Habensich durchaus keine Symptome gezeigt, 
daß das Gehirn angegriffen. Der Durst hat zugenommen und gleicht einem ver 
zehrenden Feuer. Das Wasser, welches er trinkt, erregt Erbrechen, wodurch der Patient 
geschwächt wird, allein sein unüberwindlicher Durst muß gestillt werden. Da der Doctor 
nicht genügend Wasser trinken kann, so legt er sich Schwämme aufs Gesicht und schlägt 
feuchte Tücher um seinen Kopf, um auf diese Weise mehr Feuchtigkeit zu absorbiren. Die 
Willenskraft des Patienten hat noch nicht nachgelassen. Er weist die Zuschauer ans der 
Halle, schilt die Wächter ails und ertheilt in lauter und herrischer Stimme Befehle. Seine 
Gemüthsstimmung hat sich verschlimmert. Der Verdacht, daß Dr. Tanner insgeheim 
Nahrung zu sich nehme, ist längst verschwunden. Die verdächtigen Bewegungen, 
welche die Wächter vor einem Monat beobachtet hatten, bewogen die Aerzte, außerhalb 
ein geheimes Korps in der Nähe der Wüchterzimmer zu organisiren. Sie mietheten eine 
gegenüberliegende Halle, in welcher Aufpasser an den Fenstern aufgestellt wurden, welche 
Dr. Tanner's Schlafzimmer beherrschen; dieselben benutzten starke Ferngläser, so daß Dr.
	        
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