Volltext: Der Naturarzt 1880 (1880)

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auf der anderen die dagegen empfohlenen Mittel stehen? Die Herren Speci- 
fieer sollten lieber vollends Homöopathen werden, da werden ihnen die Specifica 
nicht ausgehen, und was die M i n i m a l d o s e n betrifft, so wäre es ja n u r 
folgerichtig, daß man gegen die erkrankten m i k r o s e o p i s ch e n Zellen 
und die mikroscopischen Krankheitserreger, Batterien, Mierococcen, 
und wie die „luft'gen zarten Jungen" alle heißen, mit eben so winzigen, zarten 
Arzneimitteln zu Felde ziehen würde. Man darf uns jedoch nicht so verstehen, 
als ob wir, wenn wir die rohe Empirie, das kritiklose post hoc ergo propter 
hoc, angreifen, deßwegen die wahre Erfahrung gering schätzten, aber ehe man 
irgend einen empirischen Schluß wagen darf, muß man doch zuerst die Gestal 
tung des natürlichen Verlaufs kennen lernen. Wodurch ist denn über 
haupt der Zweifel an die vortrefflichen Wirkungen der materia medica 
entstanden? Aus was anders, als eben auch durch die Erfahrung, das heißt 
durch die Beobachtung und die richtige Verwerthung der Beobachtung. Ist 
denn das nicht auch Erfahrung, wenn ich durch genaue Beobachtung erfahre, 
daß die einem gegebenen Mittel zugemuthete Wirkung in vielen, sogar in den 
meisten Fällen nicht eintritt und daß diese Wirkung in sehr vielen Fällen 
ohne künstliche Mittel erfolgt? Oder ist es deshalb weniger Erfahrung, 
weil die Beobachtungen den Aussichten des therapeutischen Fanatismus wider 
sprechen ! Die Fanatiker kr materia medica, ob sie große oder kleine Arznei 
gaben verabreichen, haben sich von jeher eine eigene bequeme Logik zurecht 
gemacht, indem sie jede günstige Veränderung, welche früher oder später auf 
die Verordnung eines Heilmittels eintritt, auf das Conto der letzteren schreiben 
und jeden etwaigen ungünstigen Verlauf niemals der vorangegangenen Behand 
lung, sondern stets der besonderen Hartnäckigkeit und Bösartigkeit des Krank 
heitsfalles zuschreiben. So hat man lauter günstige Resultate zu 
verzeichnen und wird Retter und Wohlthäter der Menschheit! Also noch ein 
mal: Wo sind die kostbaren Heilmittel oder die noch kostbareren Heilmethoden, 
welche die Kritik mit Unrecht an den Pranger gestellt und welche der böse 
Radikalismus bewundernd hätte eonserviren sollen? Heraus damit, wenn Ihr 
etwas wißt! * 
Ist denn nun aber, so müssen wir jetzt fragen, die radicale, die kritische 
Medicin gar nirgends zur positiven That übergegangen? Ja oder Nein, je 
nachdem man den Begriff einer positiven That feststellt. Versteht man 
darunter die Erfindung einer neuen Salbe, oder eines neuen Pfla 
sters, oder eines sonstigen Speeificum's, das nach einem kurzen schein 
baren Glanze wieder in den Papierkorb der Vergessenheit geworfen wird, um 
einen andern noch vortrefflicheren Platz zu machen, so hat allerdings der 
medicinische Radicalismns noch nichts positives geschaffen. (Schluß folgt.) 
* Daß die Zweifel an dem Segen, den die Medicin der Menschheit gebracht haben 
soll, auch hie und da in höhere Kreise dringen, beweist ein Ausspruch des Fürsten Bis 
marck, der bekanntlich behauptet hat: die Medicin habe seit 1000 Jahren keine bedeu 
tenden Fortschritte gemacht. Wenn man diesem Ausspruch auch, was die medicini 
sche Wissenschaft betrifft, aufs Entschiedenste widersprechen und auf die neuen prac- 
tischen Gesichtspunkte, welche die kritische Medicin eröffnet hat, hinweisen muß, so muß man 
ihm in Beziehung auf die R e c e p t m e d i c i n wohl Recht geben, und die Vertheidigung 
letzterer durch einen practischen Arzt in der Frankfurter Zeitung, worin er auf die Celebri- 
täten in Wien und Berlin, Scoda, Traube, Virchow, Gräfe rc. hinweist, ist eine 
total verfehlte, denn die Chirurgen und Operateure gehören nicht hierher, und die Ver 
treter der Diagnostik und pathologischen Anatomie sind gerade Diejenigen, welche die 
B o d e n l o s i g k e i t der R e c e p t m e d i c i n am unbarmherzigsten an's Tageslicht 
gezogen haben.
	        
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