Volltext: Der Naturarzt 1880 (1880)

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(gerade wie heute. V.) und ein schwerbeladenes Schiff mit Arcanen segelt unter 
der Flagge eines lateinischen Wortes „specifisch". — Und mußte nicht Jeder, 
der das Programni des physiologischen Archivs mit Freuden begrüßt hatte, 
hoffen, daß jetzt die practischen Consequenzen daraus gezogen werden, wenn er 
in der Einleitung zu Wunderlich's Handbuch der Pathologie und Therapie 
las: „Es ist eines der übelsten Vorurtheilc über ärztliche Wirksamkeit, daß 
man das therapeutische Eingreifen als identisch mit dem Verschreiben eines 
Recepts ansieht und ohne letzteres das erstere für gering und unvollkommen 
erachtet. Es giebt keine Krankheitsfvrm, die nicht ohne sogenannte Medicamente 
geheilt werden kann und bei welcher nicht dieselben durch die tausend anderen 
Hilfsmittel, welche dem rationellen Arzt zu Gebot stehen, vollständig ersetzt 
werden können, und in der Mehrzahl der Krankheitsfälle ist die Verordnung 
von Medicamenten geradezu die Nebensache, in einer nicht kleinen Zahl ent 
schieden nutzlos und blose Concession, welche bei dem Aberglauben des Patienten 
und zur Befestigung seines Vertrauens oft unerläßlich ist." Wer aber geglaubt 
hatte, daß jetzt jene Consequenzen gezogen werden, fand sich gewaltig getäuscht. 
Noch 1846 (Archiv: die rationelle Therapie) sprach Wunderlich die großen 
Worte gelassen aus: „Wer wäre auch so sanguinisch, zu meinen, die plastischen 
Stoffe, welche die Lunge des Pneumonischen ausfüllen, die Gehirntuberkel beim 
Hydrocephalus acutus, die Infiltrationen der Drüsen des Typhösen, mit 
einigen Kräutern, oder was immer für andern Mittel direct tilgen zu können? 
Und doch werden uns gegen jene Zustände eine maßlose Zahl von Specifica 
empfohlen, alle Jahre neue hinzugefügt und ihre Erfolge von ernsthaften Män 
nern gepriesen! Wahrlich, es ist um nichts weniger wunderbar, durch einige 
Gran Calomel oder ein paar Drachmen Jodcalium eine Hirntubercoulose 
geheilt zu haben, als eine schwere Krankheit durch ein Drilliontelgran eines 
indifferenten Stoffs oder die aufgelegte Hand hinwegzuzaubern!" Aber in 
seinem Handbuch finden wir trotz alledem jene „maßlose Zahl von 
Specifica" ebenfalls empfohlen, vergebens aber suchen wir 
nach jenen tausend anderen Hilfsmitteln, von denen er in der Einleitung sagt, 
daß sie dem rationellen Arzt zu Gebot stehen und zur Heilung der Krankheiten 
ausreichen. „Wie verhielt sich nun," sagt Roser in seinem Nachrufe an 
Wunderlich, „die physiologische Heilkunde bei der Therapie, dem klinischen 
Receptfchreiben? Kurirte sie nach bisheriger Methode, fo nahm sich dies etwas 
unphysiologisch aus, verschrieb sie keine der gebräuchlichen Mixturen, so mußte 
der Vorwurf des Nihilismus kommen. Wunderlich's glücklicher Tact ließ ihn 
nicht zum Nihilismus gerathen; er zog es vor, eher den Vorwurf der Credu- 
lität und der hyperconservativen Anhänglichkeit an alte Recepte auf sich zu 
ziehen." Aber trotz alledem blitzt bei Wunderlich immer noch von Zeit zu Zeit 
der alte Radikalismus durch und im Jahre 1860, nachdem das Archiv schon 
unter Vierordt ins Lager des Empirismus übergegangen war, spricht sich 
Wunderlich in einem Artikel, wo er die Berücksichtigung des Gesammtorganis- 
mus gegenüber der damals fast ausschließlichen Lokaltherapie geltend macht, 
folgendermaßen aus: Dieses Verhalten ist der Grund, warum heutzutage ein 
blinder Homöopath oder Diätetiker für viele Kranke eine bessere Hilfe ist als 
ein blinder Medicamentcnarzt, der durch seine vielen Mittel dem Körper mög 
licherweise neue Fieber Ursachen zuführt, oder wenigstens durch die 
Belästigung des Magens die Erholung der Ernährungsverhältnisse verzögert. 
Der Homöopath und der Nihilist nützen der Constitution durch ihre Diät, die 
Wasserheilmethode hat ihre kräftigen Proceduren, auf Aenderung und Erfrisch 
ung des Gesammtorganismus hinzuwirken rc. (Schluß folgt.)
	        
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