Dresden,
den 22. Jamiar.
er Raturarzt
M. 2/
1863.
Korrespondenzblatt für Irennde naturgemäßer Keilmethoden.
Herausgegeben von Dr. W. Meinert.
Der „Naturarzt" erscheint wöchent
lich, jedes Quartal mit io Nummern
ä 1 Bogen; Preis jährlich 2 Thlr. oder 4 Fl.
W. W ; Abonnement pränum. x /a jährig,
halb-oder ganzjährig. Er ist eine erweiterte
Forts. d. vorj. „Wasserfreundes", von dem
Exemplare ä 2 Thlr. oder 4 Fl. W. W. noch
direct von dem Herausg. bez.<w. können. Alle
Briefe und Sendungen an die Redaction
werden franco erbeten oder auf Buchhänd
lerweg an die Buchhandl. von H. I. Zeh.
(Dresden, Kaitzer Str. Nr. 6.)
Bestellungen nehmen an: alle Buchhand
lungen (in Dresden die von H. I-Zeh),
alle Postanstalten und dieRedaction
selbst; solche, welche (franco und unter
Beilage des Betrags für die Zeit, auf
welche bestellt wird) direct bei der Redaction
gemacht werden, erfahren directe wöchent
liche Expedition per Post (franco in Kreuz
band oder Packet innerhalb der Grenzen
des deutsch-österreichischen Postgebietes.
Einz. Nrn. kosten 21/2 Ngr od 30 Kr. W.W.
'4
Der Segen der Naturheilkunde.
(Eine Skizze aus dem Leben — zugleich zur Erläuterung der
Titel-Vignette.)
(Fortsetzung.)
Seit diesem Tage bemächtigte sich Neuborn's eine tiefe
Traurigkeit, über die er sich und Emilien keine eigentliche
Rechenschaft geben konnte oder wollte, und als am 5ten Ja
nuar Ludwig (der zweit-älteste Sohn) über heftiges Kopfweh
klagte, bald darauf sich Heiserkeit, Wechsel zwischen Frost
und Hitze und schon nach wenig Stunden 'Irrereden und
alle Zeichen einer heftigen Scharlachsieber-Erkrankung einstell
ten, da rang Neuborn jammernd die Hände, stürzte nach dem
Stalle, sattelte selbst sein Reitpferd und sprengte wie rasend
der Stadt zu, um den Doctor zu holen.
Emilie hatte, so lange ihr Gatte nach Ausbruch der
Symptome anwesend, nicht gewagt, das ihrer Ueberzeugung
Gemäße und den aus den Büchern der Naturheilkunde erhal
tenen Lehren Entsprechende zu empfehlen, geschweige anzuwen
den; vielmehr hatte sie, bekümmert, wie sie war, um den
Gatten und selbst vom Schreck über die Heftigkeit des so
plötzlichen Erkrankens fast wie gelähmt, den Rathschlägen der
Schwiegermutter nach, für die Bereitung von Thee und eines
heißen Fußbades gesorgt. Als aber die Hufschläge des davon
sprengenden Pferdes ihr die Kunde von dem Davoneilen
Neuborn's in die Küche brachten, wo sie mit dem Bereiten des
Thee's rc. beschäftigt war, kehrte ihre volle Besinnung zurück und
sie ward sich bewußt, was, nach den vorliegenden Umständen
und den Grundsätzen der gelesenen Bücher gemäß, vorgenom
men werden müsse. Sie ließ die bestellte Wanne allerdings
in's Zimmer tragen, aber nicht mit heißem, sondern mit kal
ten Wasser füllen und nur so viel warmes dazu gießen, daß
ein Gemisch von 16 Grad des herbeigeholten Reaumür'schen
Thermometers entstand. Staunend sah ihr die Großmutter
zu; als aber jetzt Ludwig entkleidet wurde und in das Bad
gebracht werden sollte, da erhob die gute Alte drohend ihren
Stock und rief, sie werde es nicht zulassen, daß ihr Enkel
auf solch' ruchlose, dem Unverstand der Neuzeit entsprechende
Weise dem sicheren Tode entgegengeführt werde. Für Emilie
entstand ein Moment schweren Zweifels! Auf der einen
Seite sah sie in jedem weiteren Augenblicke die Lebensgefahr
für das Kind, wie für sich die Verkürzung des selbstständigen,
ihren erlangten Ueberzeugungen entsprechenden Handelns, auf der
anderen stand die gewissermaßen ihren Gatten selbst vertre
tende Schwiegermutter mit Entschiedenheit und im völligen
Widersprüche ihr entgegen! Doch auch nur eine Secunde war
sie unentschlossen; dann trat sie gebieterisch auf die zögernden,
das schon ziemlich entkleidete Kind haltenden Mägde los mit
den Worten: „Wer ist hier Mutter und wer gebietet in die
sem Augenblicke hier, wo Neuborn nicht im Gute? — Ich!"
Und die Mägde, welche die sonst so sanfte Frau noch niemals
so gesehen, und die Schwiegermutter gleichfalls unterwarfen
sich stillschweigend, jene, indem sie dem Befehl gemäß das
Kind erst über das Bad hielten, wo es Emilie flüchtig mit
ihren Händen aus dem Badewasser zu überwaschen begann,
diese, indem sie still grollend in ihren Armstuhl sich zurück
warf, auf den Rädern desselben „Kehrt" gegen die Wanne