Volltext: Österreich-Ungarns Erwachen [22]

/HLs gelingt nur selten, einen Staat auf eine Formel zu bringen, 
sein vielgestaltiges Leben gleichsam in einer Äußerung 
zu veranschaulichen. Wie aber soll man ein so kompliziertes 
Gebilde wie österreich-Angarn mit wenigen Worten charakterisieren? 
Jedes Teilchen hat sein eigenes Gepräge, seine besondere Färbung 
und zeigt alle Eigentümlichkeiten eines selbständigen Organismus. 
Allen zusammen jedoch ist eine Sehnsucht gemeinsam gewesen: 
der Wunsch nach Frieden. Der Doppelaar sollte hoch und stolz 
in den Lüften kreisen, aber auf reifende Felder, auf blühende 
Täler, auf regsame Städte und auf Menschen voll Zufriedenheit 
blicken. 
Man hat schon darauf hingewiesen, wie sehr sich die Äymne 
der Äabsburgermonarchie von der Marseillaise unterscheidet, ob¬ 
wohl die Geburtsstunden der beiden unsterblichen Gesänge nahe 
beisammen liegen. Äaydns Volkslied will aus weihevoller, an¬ 
dächtiger Stimmung heraus gesungen sein; es feiert den ererbten 
Glanz und mahnt zu dessen Schutz und Schirm. Wild braust 
dagegen die Marseillaise hin, zu rücksichtslosem Vorwärtsdringen 
aneifernd. And wirklich, seit dem Februar 1797, seit dem Tage, 
an dem die Volkshymne zum ersten Male öffentlich erklang, 
hat Österreich-Angarn nicht mehr das Schwert selbstsüchtig aus 
der Scheide gezogen, um ungestüm zu erobern, sondern nur um 
zu erhalten und zu verteidigen. Niemals war jedoch das Friedens¬ 
bedürfnis stärker als in den letzten Jahrzehnten, und bloß aus 
diesem Verlangen nach der Möglichkeit ungestörter Arbeit ist die 
Geduld zu erklären, mit der die Labsburgermonarchie manche 
Herausforderung nachsichtig ertrug. Sogar nach der blutigen 
Tragödie von Serajewo dachte man nicht an leidenschaftliche Ver¬ 
geltung, an Vernichtung, sondern lediglich an die Strafe der 
Schuldigen und an die Verhütung weiterer Niedertracht. Ein 
Feuer, von dem unausgesetzt Funken bedrohlich aufflogen, sollte
	        
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