Volltext: Conrad von Hötzendorf

DIE LETZTE „VERSÄUMTE GELEGENHEIT“ 
südlich, auf der Hochfläche von Asiago, die österreichisch-un¬ 
garischen Angriffe infolge mangelnder Kräfte. Welche Gründe 
es entschieden hatten, Conrad die Divisionen nicht zuzuführen, 
die für einen kraftvollen Stoß aus Südtirol notwendig waren, 
entzieht sich ebenso der Kritik wie das Abziehen der deutschen 
Truppen nach Erreichung der Piave, zu einem Zeitpunkt, da 
alles daranzusetzen war, den weichenden Gegner vernichtend zu 
schlagen. Der Ernährungszustand der Pferde hatte das Fort¬ 
bringen von Geschützen, Munition und Kriegsmaterial wohl 
wesentlich eingeschränkt, aber die Infanteriedivisionen hätten 
gern auch ihr Letztes hergegeben, um, in einer günstigen Sto߬ 
richtung angesetzt, den Rückzug des Gegners in eine Katastrophe 
zu verwandeln. Das Abbrechen der Offensive an der Piave durch 
Abziehen deutscher Kräfte war eine der vielfach „versäumten Ge¬ 
legenheiten“. Die Italiener konnten, unterstützt von Franzosen 
und Engländern, an der Piave wieder eine Verteidigungsstellung 
beziehen und ausbauen, an der im folgenden Jahre der letzte 
Versuch der Donaumonarchie, die Kriegslage zu wenden, schei¬ 
tern sollte. So war auch diese Hoffnung Conrads zunichte ge¬ 
worden. Das Glück, dem er jeden Erfolg in seinem Leben zäh 
abringen mußte, hatte ihn endgültig verlassen. 
Der Winter 1917/18 war an der Tiroler Front besonders hart. 
Es fehlte an Verpflegung, die Artillerie war wegen der Erschöp¬ 
fung der Pferde unbeweglich geworden, der Munitionsnachschub 
stockte, die Soldaten waren unterernährt und dürftig bekleidet. 
Dies alles konnte auf ihren Geist nicht ohne Rückwirkung blei¬ 
ben. Um so wichtiger wurden die für das kommende fünfte 
Kriegsjahr zu fassenden Entschlüsse. Es blieb nur die Wahl, 
eine Entscheidung im Westen zu erzwingen, bevor die amerika¬ 
nische Hilfe fühlbar wurde, oder die Westfront durch einen ent¬ 
scheidenden Schlag mit zusammengefaßter Kraft gegen Italien 
zu entlasten, um sich dann vereint gegen die Entente wenden 
zu können. 
Conrad erschien die letztere Lösung als die aussichtsvollere, 
er besaß aber nicht mehr den Einfluß, sie durchzusetzen. Schlie߬ 
lich blieb es bei der alten Auffassung, daß der Westen eine rein 
deutsche, der Krieg gegen Italien eine rein österreichisch-unga¬ 
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