Volltext: Conrad von Hötzendorf

RÜCKSTÄNDIGKEITEN AUF ALLEN LINIEN 
im Heer noch in den Landwehren dienten, sondern als Ersatz¬ 
reservisten eine nur flüchtige Ausbildung erhielten. Landsturm¬ 
pflichtig waren die 19- und 20jährigen, dann die Männer vom 
32. bis zum 42. Lebensjahre, die im Kriegsfall notgedrungen in 
operative Feldformationen eingereiht werden mußten, um die 
durch das mangelhafte Wehrgesetz bedingte Unzulänglichkeit des 
Feldheeres halbwegs auszugleichen. Die Folge war eine große 
Verschiedenheit des Ausbildungsgrades, ja selbst der Bewaff¬ 
nung. Eine Zeitlang hatte zum Beispiel der österreichische Land¬ 
sturm ein moderneres Gewehrmodell als die erste Linie, weil 
die Parlamente für ihre Landwehren und Landstürme mehr 
Opferwillen aufbrachten als für das gemeinsame Heer. 
Die gesetzlich begrenzten Friedensstände waren ein großes 
Hindernis für den organisatorischen Ausbau der Wehrmacht. Die 
Auswertung neuer Kampfmittel oder technischer Fortschritte be¬ 
dingte die Aufstellung von Neuformationen, was nur auf Kosten 
der Infanterie und Kavallerie geschehen konnte. Die Friedens¬ 
stände der Infanteriekompanien waren aber schon so niedrig, 
daß die Ausbildung darunter empfindlich litt. Es war unter die¬ 
sen Verhältnissen auch unmöglich, höhere Verbände aufzustellen, 
weil das Personal für die Stäbe und Anstalten wieder nur der 
Infanterie und Kavallerie entzogen werden konnte. 
Besonders rückständig war das Artilleriematerial. 
Im Jahre 1907, da selbst außereuropäische Kleinstaaten ihre 
Feldartillerie längst schon mit Schnellfeuergeschützen ausgerüstet 
hatten, gab es in Österreich-Ungarn erst 30 fertige und 1200 ge¬ 
gossene Rohre eines Schnellfeuergeschützmodells. Diese und 
viele andere Mängel zwangen Conrad immer häufiger, den Ein¬ 
fluß des Allerhöchsten Kriegsherrn auf die Ministerpräsidenten 
und Finanzminister zu erbitten. 
Bei einem Kaiserrapport im März 1907 mußte sich Conrad zum 
Beispiel gegen eine Forderung der Kriegsmarine wehren, die zur 
Bemannung der im Bau befindlichen Dreadnoughts 1100 Rekruten 
des Heeres anforderte. Im selben Frühjahr sah sich der Kriegs¬ 
minister selbst zu dem Vorschlag gezwungen, zur Gewinnung der 
nötigen Mannschaft für Spezialformationen die vierten Batail¬ 
lone der Infanterie- und die sechsten Eskadronen der Kavallerie¬ 
regimenter en cadre zu setzen. Conrad wendete sich aufs schärfste 
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