Schwierige Lage der österreichischen Grenzverteidigung
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Wehrmacht eine Lage, die in der Weltgeschichte kaum ihresgleichen
findet. Der vielberufene „Spaziergang nach Wien" brauchte für das Heer
Viktor Emanuels wahrlich kein leeres Schlagwort zu sein.
In Teschen vermutete man von den italienischen Streitkräften 9 In¬
fanterie - und 2 Reiterdivisionen samt 10 Alpinibataillonen als Hauptsto߬
gruppe an der küstenländischen Front, 2% Divisionen und 15 Alpinibatail¬
lone an der Kärntner Grenze, 3 Divisionen im Cadore, 9Va Divisionen
gegenüber der Südtiroler Bastion und 2 Kavallerie di visionen noch zwi¬
schen Tagliamento und Livenza. Wie später darzutun sein wird, kam
diese Auffassung über die Lage an der Grenze der Wirklichkeit ziemlich
nahe. Von den fehlenden 16 Divisionen wähnte der k. u. k. Generalstab
7 zu Expeditionszwecken in Ancona, Bari und Brindisi, 2 an der Schwei¬
zer Grenze und 2 in Lybien; über den Aufenthalt der übrigen 5 Divi¬
sionen vermochte man sich noch keine Rechenschaft zu geben.
Von diesen Vorstellungen ausgehend, eröffnete dasAOK. am 28. Mai
dem Kommando der Südwestfront auf dessen Anfrage, daß die Absicht be¬
stehe, „Tirol mit den dort befindlichen Truppen aufs äußerste zu ver¬
teidigen, dem über Kärnten, Küstenland, Krain einbrechenden Feind
unter möglichst geringem eigene m Gebietsverlust das Vordringen zu ver¬
wehren und in späterer Folge zu trachten, ihm einen möglichst aus¬
giebigen Schlag zu versetzen". Da um diese Zeit die Entscheidung in
Mittelgalizien noch nicht gefallen war, vermied es die Heeresleitung,
über weiteren Kräftezuschub bestimmte Zusagen zu machen. Es sollte,
so wurde dem Erzherzog Eugen in der ebenangeführten Depesche mitge¬
teilt, „durch befohlenes verteidigungsweises Verfahren Zeit gewonnen,
der Feind geschwächt und Raumverlust möglichst vermieden werden".
Wie diese gewiß nicht leichte Aufgabe im einzelnen zu lösen war, blieb
dem Oberbefehlshaber der gegen Italien aufgebotenen Kräfte überlassen.
Italien
Als im Frühjahr 1915 die italienische Kriegspartei infolge des Fort¬
schrittes in der Kriegsbereitschaft des Heeres zunehmende Geltung ge¬
wann, sah sich auch Gen. Cadorna veranlaßt, seinen im September 1914
verfaßten Operationsentwurf, der den in Aussicht genommenen höheren
Führern schon bekannt war (S. 286), bei Beibehalt seiner Grundzüge eine
bestimmtere Fassung zu geben. Bei Berücksichtigung der seit 1. März in
Kraft stehenden neuen Mobilisierungsart erließ er nun am 1. April, an
dem die Masse des Heeres noch in den Friedensgarnisonen lag, und
zwischen Rom und Wien eifrig diplomatische Verhandlungen gepflogen