Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Ernst Jünger ~ Das Antlitz des Weltkrieges 
ledigt. Es ist auf einmal eine maßlose Wut in uns, und wir kennen in diesem 
Augenblick kein Erbarmen mehr. 
Und wieder Pause. Schweigend rauche ich Zigarette auf Zigarette. Plötzlich 
saust es mir zischend entgegen. Ein kräftiger Stoß trifft meine Brust, wirft mich 
hintenüber. Als mir die Besinnung wiederkommt, ist mein erster Gedanke: Nun 
hat's auch dich! Aber da wird es mit einem Male flammend hell vor meinen 
Augen, brennt auf meiner Brust. Ich bin wie gelähmt, aber der Krankenträger 
Nawrath reißt mir den Feuerballen vom Leibe, daß das dürre Gras im Umkreise 
hoch aufflackert, tritt mit wütendem Fuß ihn aus. Und dann begreife ich: eine 
Leuchtkugel, deren Zünder zum Glück zu spät eingesetzt hat, hatte mich dicht ober¬ 
halb des Herzens getroffen. 
„Herr Leutnant Ziefing," sagt da Fahnke, und ich wende mich um. Da hetzt eine 
Gestalt in wilder Hast den Abhang hinunter, das Verbandpäckchen auf den Mund 
gedrückt, das flattert nach wie eine endlose, rote Fahne. Etwas Schwarzes kollert 
zwischen seine Beine, er reißt es mit sich. „Um Gottes willen," ruft Fahnke, aber 
Ziefing ist schon weiter. Bauz, ein gewaltiger Krach, die Handgranate sprüht 
hinter ihm in die Luft. Gottlob! 
Fetzt ist brennende Not am Hohlweg. Der Franzose steht uns bereits im Rücken. 
Aber Rosenberg, der Führer der achten, der von seiner Riegelstellung aus die 
Lage noch eher erkennen konnte, hat auch schon gegen den dort eindringenden 
Gegner zwei Gruppen entsandt. Leutnant Lubitsch läuft dort umher, gibt An¬ 
weisungen. Himmel, das französische Maschinengewehr, das eben noch schoß! 
Da geht's drüben auch schon: Tack! Lubitsch klappt jäh in sich zusammen, fällt. 
Aber er bewegt sich noch. Wie der Blitz ist ein Mann bei seinem Leutnant: Tack. 
Kopfschuß, rührt sich nicht mehr. Und zwei, drei und mehr, die alle ihrem Offizier 
zu Hilfe kommen wollen und die alle erledigt werden. Dann ist's aus einmal 
stille, nur der zu Tode verwundete Offizier, der sich mühselig in einen Granat¬ 
trichter geschleppt hat, winkt langsam und unaufhörlich mit seinem Stahlhelm. 
Da gelingt es endlich einem unserer Krankenträger — Felgenträger hieß der 
Brave — in kurzen Sprüngen von Trichter zu Trichter eilend, dem Verwundeten 
Hilfe zu bringen. Später berichtet er mir, was Lubitsch gesagt hat: „Also Bauch¬ 
schuß, na, vielleicht komme ich noch durch!" Nach hinten ist er zwar noch ge¬ 
kommen, aber bereits drei Tage später, am 31. August, gestorben. 
Ich sehe immer noch wie gebannt auf die unheimliche Stätte. Nur von dort kann 
noch Gefahr drohen, denn den Gegner vor uns haben wir erledigt. Aber auch 
hier scheinen sie genug zu haben. Nur, verflucht, unsere Artillerie haut wieder, 
prachtvoll gezielt, mitten zwischen uns. Dicht vor die Nase setzen sie mir ein 
Ding. Reinhard fliegt der Länge nach hin, zusammen mit Fahnke und Hilgruber 
bilden wir ein wüstes Knäuel. Aber alles blieb heil. Da hauen die nächsten 
180
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.