Volltext: Was ist Bewusstsein?

Und schließlich muss sie auch ein Verständnis von Erkenntnis selbst (in deren Zusammenhang mit Argumentation und Begründung bzw. Erklärung) ermöglichen, um den Status und Anspruch auch der physikalischen Theorie überhaupt verstehbar machen zu können.561 Die Einbeziehung des Bewusstseins in den Horizont der physikalischen Theorie ist strukturell vergleichbar dem Schritt vom (tierischen) Bewusstsein zum menschlichen Selbstbewusstsein, durch den sich der Mensch als Individuum selbst 'als Teil' seiner Umwelt wahrnimmt, wodurch die Umwelt erst zur Welt wird, einem holistischen (irgendwie unbestimmten, fragwürdigen und auch bedrohlichen) Ganzen, als Deutungshorizont des menschlichen Individuums. Dieser ist verbunden mit Identifizierung innerhalb dieses offenen Rahmens und setzt das Denken (im Sinne von Erkennen) in Gang und führt auf verschiedenen Wegen zu systematischen Deutungsansätzen (Philosophie und Wissenschaften). Ein Weg führt in diesem holistischen Rahmen auch zur Unterscheidung von Bewusstsein und Gegenständen des Bewusstseins, von res cogitans und res extensa. Durch den transzendentalen, nicht an Kategorisierungen festgemachten, Erkenntniszugang der neuzeitlichen Physik rückte das Bewusstsein im Laufe der Zeit selbst in den Deutungs- und Erklärungshorizont der physikalischen Konzepte. Ein möglicher physikalischer Erklärungsanspruch kann sich aber, wie gesagt, nur bestätigen anhand der Erklärung der Phänomene, zu denen aber notwendigerweise auch die physikalische Theorie und ihre Genese selbst zählt. Der Erfolg der physikalischen Theorie als Grundlage der Erklärung, und damit auch als Deutungshorizont des Bewusstseins bemisst sich daher an ihrer Deutungsmacht in Bezug auf die Bewusstseinsphänomene, zu denen eben auch das Phänomen 'Erkenntnis' in allen seinen Facetten (von der Alltagserkenntnis im Gebrauchshorizont bis zu Philosophie und Naturwissenschaften) gehört. Aber Erkenntnis selbst ist nur ein kleiner Ausschnitt aus den Bewusstseinsphänomenen, deren Ursprung ja weit hinter den Menschen zurückreicht, und die auf menschlicher Ebene alle Bereiche des Zusammenlebens und der Kultur durchdringen. Insofern ist das Spektrum der Phänomene, deren Erklärung in den Relevanzbereich einer (physikalischen) Theorie des Bewusstseins fiele, praktisch gleichzusetzen mit dem Spektrum der Wissenschaften vom Menschen (einschließlich der Biologie). Sie müsste sich in diesen Wissenschaftskanon als eine Art transzendentales Grundkonzept einbringen, offen für Anschlusskonzepte und Anschlusstheorien, auf die sie zugleich, im Sinne ihrer Bewährung, angewiesen ist. In diesem Sinn kann man in Bezug auf die Wahrheitsfrage von einem Theorien-Holismus sprechen, der auf der Basis eines transzendentalen Wissenschaftsverständnisses an die Stelle des Holismus der Begriffe tritt, dessen einziges Kriterium der Beurteilung aber in beiden Fällen die Kohärenz sein kann. „Es sind zum großen Teil die Kohärenz und die Angemessenheit einer Aussage bzw. eines ganzen Systems von Aussagen (einer Theorie oder eines Begriffsschemas), durch die diese rational akzeptabel werden.“562 Allerdings weist Hilary Putnam in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass „Wahrheit … nicht einfach rationale Akzeptierbarkeit sein [kann], und zwar aus einem fundamentalen Grunde: Wahrheit ist eine Eigenschaft einer Aussage, die sie nicht verlieren kann, während sie ihre Rechtfertigung durchaus einbüßen kann.“563 Für die Frage der Wahrheit ist die philosophische (erkenntnis- bzw. wissenschaftstheoretische) Reflexion unverzichtbar. Dabei ist klar, dass die Antwort auf diese Frage naturgemäß mit der Frage des Bewusstseins zusammenhängt. Das Problem dabei ist, dass Erkenntnis traditionell als Beziehung zwischen dem Bewusstsein und den Gegenständen aufgefasst wird. Da aber das Bewusstsein in diesem Bild der Erkenntnisbeziehung von vornherein als eine Art von Entität mit bestimmten (introspektiv erkennbaren) Eigenschaften aufgefasst wird, fließen damit immer schon wie selbstverständlich (auf Basis von 'Evidenz') Unterscheidungen ein. Damit werden Unterscheidungen von Anfang an als etwas Selbstverständliches, als etwas schlicht Vorhandenes 561 Das Verständnis des Erkenntnisprozesses als 'naturgesetzlicher' Vorgang torpediert selbst den Geltungsanspruch einer solchen Behauptung. Die Naturgesetze gelten schließlich, Ansprüche hin oder her. 562 Putnam, H. (1990), S. 82 563 Putnam, H. (1990), S. 82 173
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