Volltext: Heimatbuch Unterweissenbach

So fing es an — Hermine Jakobartl 
häusern war Hochbetrieb und alle tanzten. Als ich in 
mein Zimmer kam, fand ich dieses, entgegen meinen 
Befürchtungen gut geheizt und von der Lehrerschaft 
bevölkert, vor. Sie hatten mich mit Sorge erwartet 
und mir ein warmes Essen vorbereitet. 
Ab und zu musste ich Kinder zu Fachärzten nach 
Linz bringen und es waren meist recht arme Wesen, 
die mir ihre Mütter in der Hoffnung anvertrauten, 
ich könnte ihnen doch Hilfe vermitteln. In den 
leichteren Fällen handelte es sich um Mandel- oder 
Bruchoperationen, aber auch um Hasenscharten, 
Wolfsrachen, Schwachsinn verschiedenen Grades, 
„Little'sche Krankheit“ oder andere spastische Läh- 
nungen. Eine Frau bat mich, ihren achtzehnjähri- 
gen, ganz idiotischen ‘Sohn nach Linz zu begleiten. 
Sie wollte selbst nicht mitfahren, da es schon einmal 
einen großen Verdruss gegeben hatte, weil der Bur- 
sche im Autobus heftig erbrechen musste. 
Der Winter zog sich noch eine Weile hin. Zu Licht- 
mess und am Blasiustag, wo es gewöhnlich stürmte 
und schneite, war diesmal Tauwetter mit Regen und 
Matsch. Bald wurde es wieder kälter und nach Mitte 
März gab es noch immer Winterstürme mit Schnee- 
gestöber. Selbst im April waren die Wiesen noch 
weithin winterlich grau, aber die Erde duftete immer 
mehr nach Frühling und Wachstum und die Laub- 
bäume überzogen sich allmählich mit einem leichten 
rosa und grünen Schimmer. Die Osterwoche erfreute 
uns endlich mit schöner Frühlingssonne. Im April 
wechselten sonnige Tage mit kühlen und regneri- 
schen. Auf meinen weiten Wanderungen konnte ich 
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mich wieder da und dort auf einem Baumstumpf, in 
der Sonne rastend, niederlassen. Ein Buch hatte ich 
immer bei mir oder ich machte Eintragungen in 
mein Tagebuch. An Regentagen war ich besonders 
arg von Knieschmerzen gequält. Dr. Neudorfer hielt 
mir lange Vorträge über Gelenkserkrankungen und 
ich kannte sonst keinen Arzt. der sich so offen über 
das Unzulängliche allen ärztlichen Wissens ausge- 
sprochen hätte. 
Die Geldentwertung, nicht so rasend wie ich sie in 
Deutschland erlebt hatte, aber immerhin noch ver- 
nängnisvoll genug, griff nun auch in Österreich um 
sich. Die Preise schnellten in die Höhe, das Geld 
wurde immer mehr und immer wertloser. Die Pfle- 
gegelder, die von Kindesvätern und amtlichen Stel- 
ıen bezahlt wurden, gingen nicht automatisch in die 
Höhe, sondern es musste in jedem Falle ein Antrag 
an das Vormundschaftsgericht oder an die Heimat- 
gemeinde gestellt werden. Das war eine zwecklose 
Arbeit, weil die Erhöhung von der fortschreitenden 
Geldentwertung meist schon wieder überholt war, 
ehe der Beschluss die Amtsstube verlassen hatte. 
Auch die „mündelsicheren Spareinlagen" gab es 
plötzlich nicht mehr. Selbst die Anstrengungen der 
kleinsten Sparer waren vergeblich. Alles wurde 
endlich im Verhältnis 10.000 : 1 abgewertet. Man 
rechnete damals fast nur in Millionen und es war gar 
nicht so ungeheuerlich, als ein Kleinbauer vom Va- 
‚er seines Enkelkindes eine Abfertigung von 
100.000 Millionen verlangte. 
In dieser Zeit wuchs natürlich die Zahl meiner 
Schützlinge besonders stark an, weil viele Men- 
schen, die sich bisher mit geringen Mitteln so 
schlecht und recht durchgebracht hatten, gezwungen 
waren, irgendwo Hilfe zu suchen. 
So ging mein erstes Arbeitsjahr in Unterweißenbach 
zu Ende. Was hatte ich erreicht? Ich habe kaum 
ainen allgemeinen Überblick gewonnen und immer 
das getan, was mir für den Augenblick das Notwen- 
digste erschien. In der engen Verquickung der prak- 
ischen Jugendfürsorge mit der Amtsvormundschaft 
<ann man aber nicht einmal das immer tun. Wie viel 
Tage musste ich über Akten und bei Verhandlungen 
sitzen, während es wichtiger gewesen wäre, diesem 
oder jenem kranken oder gefährdeten Kind nachzu- 
gehen. Zusammen mit einer zweiten Fürsorgerin 
hätte sich ungleich mehr ausrichten, hätten sich auch 
mehr Mutterberatungen einrichten lassen. 
Vieles war in diesem Jahr an mich herangekommen 
ınd manches war getan worden, wenn auch der Er- 
folg bei weitem nicht der aufgewendeten Mühe ent- 
sprach. Bei alledem hatte ich das Gefühl, erst am 
Anfang zu stehen und den einmal eingeschlagenen 
Weg nicht verlassen zu dürfen. 
Erinnerungen der Fürsorgerin Hermine Jakobartl mit Skizzen der Autorin; 
gekürzt und bearbeitet von Kons. Johann Kiesenhofer und Emmerich Haider
	        
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