Die Holzburg auf dem Nesselstein: „... ein purckhstall genannt der Nesselstein
Quelle herbeigetragen und in einem großen Vorrats-
behälter gesammelt werden.
Die Holzburg diente naturgemäß dazu, Schutz vor
Feinden zu bieten. Sie entsprach aber auch, wie
später noch weit eindrucksvoller die Steinburgen,
einem Streben zur Repräsentation. Nur Inhabeı
„ganzer Höfe‘ mit 90 oder mehr Joch Grundbesitz
kamen als Inhaber derartig befestigter Wehranlagen
in Frage. Später zerfielen dann diese Großeinheiten.
Während die ältesten Grenzen „nasse Grenzen“ ent-
iang der Rinnsale und Bäche waren, weisen „un-
natürliche‘, von Menschen gezogene Grenzen, auf
spätere Teiılungen hin.
In jener Zeit, ın der reich begüterte noch „freie
Leute‘ derartige Hochsitze errichteten, waren die
Grenzen zwischen wohlhabenden Bauern und dem
niederen Adel noch fließend. Die „freien Leute“,
welche zum Waffentragen befähigt waren, bildeten
noch zu Beginn des Hochmittelalters den Hauptan-
teil der Krieger im landesfürstlichen Heere. Durch
Besitz und gehobene Lebensweise war ein Aufstieg
der „freien Leute‘ in den damals sich ausbildenden
Ritterstand des niederen Adels durchaus möglich,
ohne dass eine formelle Standeserhöhung nötig ge-
wesen wäre. Umgekehrt fiel manche verarmte Fa-
milie des niederen Adels wieder in den Bauernstand
zurück.‘
Viele ehemals Freie begaben sich allerdings aus
eigenem Entschluss schon im 9. Jahrhundert bis ins
ausgehende Mittelalter in ein Untertanenverhältnis
zu einem mächtigen Herrn, dem Landesfürsten oder
einem einflussreichen Adeligen. Dadurch waren sie
vom Kriegsdienst, der Verpflichtung der Freien war,
enthoben. Sie übertrugen die Bürde des Heerdienstes
an einen Berufskriegerstand, an die Ritter. Aller-
dings mussten sie dafür eine entsprechende Abgabe,
ein Rüstgeld, zahlen.
Das Alltagsleben auf einer Holzburg darf nun nicht
allzu romantisch gesehen werden. In das Wohnge-
mach fiel kaum Licht. Die Fenster waren winzig
klein und nur mit getränkten Tierhäuten bespannt.
Auch die Blasen von Rindern und Schweinen
mussten zur Fensterabdichtung herhalten. Kleine
Öllämpchen sorgten bei Dunkelheit für eine küm-
merliche Beleuchtung. Ein flackerndes und rußendes
Licht boten die Kienspäne, die „Keanleuchten“‘. Sie
waren mit Eisenklammern an Holzgestellen befestigt
oder wurden in Keramikschalen, die man „Kean-
goschn“‘ nannte, gesteckt.
Das Geschirr war, wie die Funde vom Nesselstein
zeigen, vorwiegend aus Keramik gefertigt. Dem Ton
war Graphit beigemengt, um bei einseitiger Erhit-
Peter Dinzelbacher, Europa im Hochmittelalter, 2003
zung ein Zerspringen zu vermeiden. Wenn etwa das
Geschirr an das Herdfeuer gerückt wurde, gab der
Graphit die Wärme an die dem Feuer abgewendete
Seite weiter. Auf dem Boden der Gefäße finden sich
Markierungen, die auf die jeweilige Töpferwerk-
stätte hinweisen.
Foto: Prof. A. Höllhuber, Reichenstein
<eramikfunde vom Nesselstein
War der Familienvater auf adelige Lebensweise
jedacht, dann mied er die Feldarbeit und widmete
sich der Aufsicht über das arbeitende Gesinde und
der Jagd.
Bei Holzburgen aufgefundene Spinnwirteln weisen
auf die Arbeit des Spinnens und Webens hin, die
den Frauen oblag.
Das Landschaftsbild zur damaligen Zeit mag gefäl-
lig gewesen sein. Das Klima war mild.
Selbst im hochgelegenen Hackstock
wurde an den südwärts geneigten Hängen
Weinbau betrieben
Flurnamen wie „Weinluß‘“ erinnern noch heute
daran. Die Felder waren in früherer Zeit grundsätz-
lich mit Zäunen und Flechtwerk umgeben, damit
Getreide und Feldfrüchte nicht dem hohen Wildbe-
stand zum Opfer fielen. Die Zäune mussten die vor-
geschriebene Brusthöhe erreichen. In einer alten
Rechtsordnung heißt es:
„So einer säen will, soll er zuallererst darauf sehen,
ob er einen Zaun gemacht hat. Hat er keinen ge-
macht, so soll er das Saatgut niederlegen und einen
Zaun bauen, ‚ehe er aussät, sonst wird er bestraft. Ein
eigener Flurschütze soll zur Sommerzeit die Felder
umgehen und die Zäune besichtigen, ob sie in Ord-
nung sind oder nicht“.
Siegfried Epperlein, Bäuerliches Leben im Mittelalter, 2003