Volltext: Die Zweierschützen im Weltkrieg 1914 - 1918 2. Heft (2. Heft / 1931)

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unbezwungene Land, das Land unserer Sehnsucht, das Land des Friedens. Heilige Ruhe liegt über ihm 
und über dem Prisang steht feierlich das Sternbild des Wagens, das wunderbare, helleuchtende Siebengestirn. 
Was aber will ich denn hier? Bin ich gekommen, mich dem Zauber einer Mondnacht gefangen zu 
geben? Fast widerwillig reißen sich die Gedanken los von dem traumhaft schönen Bild und kehren zur 
ernsten Aufgabe zurück. Italienische Überläufer haben uns verraten, daß heute Nacht ein Angriff geplant 
ist. Deswegen bin ich hier. Nasch suche ich den Kommandanten der Stellung, welche die vorgeschobenste 
der ganzen Verteidigungslinie ist, auf. Der Kommandant Fähnrich Haselmaier erwartet mich mit seinem 
Stellvertreter, dem Kadetten Saxenhofer, in der Offiziersdeckung. Das ist ein kleines, natürliches Felsenloch, 
rechts und links durch Mauern aus Sandsäcken erweitert. Eine Vorderwand aus Brettern, mit Dachpappe 
überzogen, und ein Dach aus Brettern und Baumstämmen, mit Sandsäcken maskiert, vervollständigen die 
,Villa Adlerhorst'. Links schließen sich die Deckungen der Mannschaft an, niedere Steinhütten mit Zelt 
blättern als Dach, darüber Erde oder Föhrenzweige gebreitet. Von den Deckungen gehts in die Stellungen, 
weglos, zwischen Steintrümmern und den knorrigen Zweigen der Latschen durch, kriechend, kletternd und 
springend. Wehe dem, der hier gebahnte Wege gehen wollte; er wäre verloren, denn von oben sieht der 
Italiener den Fels wie auf einer Landkarte. Die Stellungen säumen den Berg wie die Zinnen einer Burg, 
Steinmauern mit Schießscharten, die rechts und links talwärts schauen. Zeltblattdächer, mit Steinen 
beschwert und mit Alpenrosen maskiert, schützen gegen Sicht von oben. In den Stellungen schläft die 
Mannschaft. Nur die Posten wachen, in warme Pelze gehüllt. Ich melde ihnen einen Gruß von unserem 
Oberstleutnant und wenn heut' die Italiener kämen, müßte jeder Schwarm von uns ein Bataillon auf 
halten. Viele Worte machen unsere Oberösterreicher nicht. Sie sagen bloß: ,Dös tan ma!' und es klingt 
doch wie ein Gelöbnis. 
Wir kehren zur Hütte zurück und plaudern noch geraume Zeit. Von allem Möglichen, was unser 
einsames Leben mit sich bringt, von den Italienern, den Stellungen und Deckungen, von dem kleinen, zier 
lichen Siebenschläfer, der in einem Felsspalt der Offiziersdeckung haust und meinen Gastfreunden Äpfel 
und Schokolade stiehlt, dann von ernsteren Dingen, von den Gefallenen, den Gräbern, von der Heimat 
endlich und der Heimkehr, und merken plötzlich, daß wir, die Fremden, uns Freund geworden sind. Aber 
wir nehmen das gar nicht als Erstaunliches wahr, es ist uns, als müßte das so sein. Muß auch sein. Das 
gemeinsame Erleben schweißt uns zusammen. Es ist spät, als wir das Lager aufsuchen. Plötzlich fahren 
wir aus kurzem Schlummer empor. Was ist das? Gewitter? Es klatscht wie schwerer Sommerregen aufs 
Dach nieder. ,Feuerüberfall!' schreit der Fähnrich und schon ist er hinaus. Ich ihm nach, aber ich sehe ihn 
nicht mehr. Nur seine raschen hallenden Tritte sagen mir: der da stürmt, sein Leben nicht achtend, zu seiner 
Pflicht und zu seinen Leuten. Trotz seiner Jugend, seiner lachenden, lebenden, sonnedürstenden Jugend. 
Da kommt von der anderen Seite ein Korporal. Gar nicht besonders schnell. ,Meld' g'horsamst, — a blöder 
Feuerüberfall von die Italiener? Damit verschwindet er wieder im Dunkel. Ich suche den Weg zur Höhe, 
über mir sausen und pfeifen die Kugeln, klatschen ins Gestein und gellen surrend ins Weite. Sonderbar, 
daß man keine Angst empfindet. Es muß dies die ruhige Sicherheit der anderen machen. Da kommt eben 
ein Sanitätsgefreiter — Schererbauer heißt der Brave — und meldet, daß er nach oben geht, nachzuschauen 
ob niemand verwundet wurde. 
Niemand hat ihm zu kommen befohlen, er geht ohne Auftrag ins Feuer hinein. Auch einer, dem Pflicht 
und Menschlichkeit höher stehen als das eigene Leben. 
Wie der zackige Rücken eines vorweltlichen Ungetüms stehen die schwarzen Kämme hoch über uns. 
Aber über sie hin zuckt es wie eine Schlangenlinie kleiner Flämmchen, die in fortwährender Bewegung 
sind. Sie blitzen auf, verlöschen, kommen in dichten, in schütteren Wellen — das Mündungsfeuer der 
italienischen Gewehre. Sie meinen es gut mit uns, die dort oben. Unaufhörlich schwirren ihre Kugeln über 
uns, als kreiste zu unseren Häupten ein Schwarm wilder Hornisse. 
Von unserer Seite füllt kein Schuß. Aber man ist wach. Man sucht das Vorfeld ab, um festzustellen, 
ob diesem Feuerüberfall ein Angriff zugrunde liegt. Eine Leuchtrakete schießt auf, fällt ins Latschenfeld und 
grünes Licht flutet wie Meerleuchten durch die dunklen Kienföhren. Ein Knall — und durch ein Wolken-
	        
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