Volltext: Der Skiläufer

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die doch gar nichts dafür können, mit Wachs, Paraffin und sonstigen 
Schmiermitteln aus Büchsen oder Tuben auf den Leib, daß es ihnen 
ganz bang wird. 
Aber sonst ist der Schnee eben nichts als — der Schnee. 
Er ist aber mehr. Er ist ein Wunder, ein weißes Wunder, das 
vom Himmel fällt. Unsere Augen sind zu grob gebaut, um das 
Wunderbare an ihm gleich zu sehen. Aber schon vor hundert Jahren 
hat Scoresby, der Erforscher der arktischen Zonen, hundert ver 
schiedene Formen von Schneekristallen entdeckt und abgebildet. 
Wie in der Zellenanordnung des niederen organischen Lebens eine 
unerschöpfliche Musterkarte der köstlichsten Spitzenvorlagen ent 
halten ist, gegen die die feinsten flandrischen Spitzen grobes Mach 
werk sind, so liegt eine Fülle zartester architektonischer Geheimnisse 
in den zahllosen Kristallisationsformen der Schneeflocken ver 
borgen. Nur ein Grundgesetz gilt für alle. Das ist die Zahl sechs. 
Sechseckig sind die Sternchen, die Säulen, die Pyramiden, die 
Blättchen, die Spieße, die Prismen. Manche haben einen kugeligen, 
mit Stacheln besetzten Kern, so daß sie einem kleinen, weißen 
Jgelchen gleichen; andere haben auf einer sechsseitigen Scheibe 
ein Bukett zahlloser kleiner Fäden und Spieße, so daß man meint, 
irgendeinen himmlischen Korbblütler vor sich zu haben; und wieder 
andere gleichen aufs Haar einem Miniaturordensstern, von denen 
sich mancher einen in größerer Ausgabe auch von oben her ins 
Knopfloch wünscht, anstatt nur als weißen, schmelzenden Zierat 
auf dem dunkeln Ärmel. 
Aber nicht nur schön sind sie, die duftigen Winterblumen der 
Lüfte; sie reden auch ihre eigene Sprache. Sie erzählen dem 
Forscher fast so zuverlässig wie ein Registrierballon von den warmen 
und kalten Luftregionen, die sie durchreisen, und an ihren Formen 
lassen sich ihre kleinen Schicksale lesen, wie oft sie unterwegs ge 
schmolzen und wieder kristallisiert sind. 
Wenn diese zarten Eisblüten in Trillionen von Myriaden sich 
herabsenken auf die Erde, dann bilden sie zuerst jene dünnen, 
weißen Teppiche, die sanft über die Hügel und Hänge gebreitet 
sind; schneit es weiter, dann legen sich die weichen, luftigen Flaum 
kissen, die zu drei Viertel Luft und nur zu einem Viertel feine Eis 
daunen sind, über die Berge; und wenn es noch mehr wird, dann 
entweicht auch durch den zunehmenden Druck langsam alle - Luft 
aus dem Kissen, und es entstehen jene kompakten, dicken Matratzen, 
von denen fünfzehn Zentner auf den Kubikmeter gehen. Oder 
schließlich, wenn die Sonne mit dem großen Wintervorrat nicht 
fertig wird, dann wächst das glasharte, blaue Gletschereis.
	        
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