Bergsteigen und Wildwasserfahren in
M&m
KAJAK-ABENTEUER IM HIMALAYA
Bericht von Otto Huber, München
Seit Stunden harrten etwa zwei- bis dreihundert Menschen in
Tarkurkat geduldig auf das große Ereignis. Die Kinder hatten
schulfrei bekommen. Dichtgedrängt wartete die Menge auf der
schwankenden Hängebrücke, ungeachtet der lebensgefährlichen
Überbelastung, bei der jedem Statiker die Haare zu Berge ge-
gestanden wären. Offensichtlich handelte es sich um die größte
Sensation, die das kleine Dorf am Fuße des 8122 Meter hohen
Manaslu je erlebt hatte. Die Sensation waren wir: 15 Kajak¬
fahrer, die mit bunten Kunststoffbooten auf dem grünen Wasser
des Marsyandi-River dahinpaddelten.
Die Bergbewohner Nepals können nicht schwimmen. Für sie
bedeuten die reißenden Flüsse des Himalaya eine todbringende
Gefahr. Kein Wunder also, daß uns der Dorfschullehrer von
Tarkurkat mit der vorwurfsvollen Frage empfing: „Why do
you do this...?“ Er hielt uns wahrscheinlich für potentielle
Selbstmörder.
Ein Wagnis war es jedoch ohne Zweifel auch für das Münchner
Spezialreisebüro Hauser Exkursion Internation, das als Veran¬
stalter mit dieser Art von „Aktiv-Urlaubs-Reise“ touristisches
Neuland betrat. Im Frühjahr 1974 wurden erstmals Flüsse in
Nepal erkundet und auf Befahrbarkeit für Kajaktouristen getestet.
Nachdem ich bei diesen Erstbefahrungen mit dabei war, fiel mir
auch gleich die mehr oder weniger dankbare Aufgabe zu, die
erste Touristengruppe als Reiseleiter zu betreuen.
15 unternehmungslustige Kajak-Touristen
Am 16. November 1974 trifft sich die Mannschaft startbereit im
Flughafengebäude München-Riem: 14 unternehmungslustige
Kajakfahrer und eine mutige junge Dame, übrigens meine Frau,
die den Ehrgeiz hat, als erste Kajakfahrerin im Himalaya in die
Geschichte einzugehen. Daß Kajakfahrer Individualisten sind,
zeigt sich bereits beim Check-in am Air-India-Schalter. Mit un¬
schuldiger Miene werden die phantastischesten Gepäckstücke
— vom 40 Pfund schweren Kletterrucksack bis zur knapp einen
Meter langen Packtasche — als „Handgepäck“ vorgezeigt. Im
letzten Moment verschwindet ein Teilnehmer noch auf der
Toilette, um den acht Pfund schweren Gummianzug unter seine
sonstige Reisekleidung anzuziehen.
Der zwölfstündige Flug im Jumbo-Jet nach Neu Delhi bietet
dann ausreichend Gelegenheit, sich näher kennenzulernen. Der
älteste Teilnehmer ist 48 und erfolgreicher Architekt. Der jüng¬
ste heißt Hubert, ist 25, Skirennläufer, Motocrossfahrer und
von Beruf Kundendiensttechniker. Außerdem haben wir Juristen,
Diplom-Ingenieure, Kaufleute, Physiker, einen Malermeister und
einen Betriebsleiter-Stellvertreter aus Kirchdorf in Oberöster¬
reich dabei, der mit 43 Jahren der drittälteste Teilnehmer der
Gruppe ist.
Als Programmgestalter und Reiseleiter sehe ich schon nach
den ersten Kontaktgesprächen schwere Zeiten auf mich zukom¬
men: Die Kajakspezialisten wollen eine rassige Wildwasser¬
strecke (möglichst Erstbefahrung!). Die Romantiker wünschen
Flußstrecken mit Traumzeltplätzen, auf denen immer viel
Holz zum Feuermachen liegt. Die Bergsteiger unter den Boot¬
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Österreichs Paddelsport, Nr. 1/2 1975