Volltext: Österreichs Paddelsport 1960 (1960)

Herbert Gasselseder 
Auf den Spuren der Bernsteinstraße 
Preisfrage bei einem Paddlerquiz: Wo 
gelangt man 70 Kilometer nördlich von 
Wien über einen Bach und zwei Flüssen 
in die Donau? 
An einem azurblauen Nachmittag im 
September war des Rätsels Lösung ge¬ 
funden, als ich mein Boot durch Bern¬ 
hardsthal karrte. Der freundliche Bahn¬ 
hofsvorstand versicherte mir, daß mein 
Beispiel Schule gemacht habe; einige 
von der Wiener Faltbootzunft sei heuer 
schon zur Thaya gekarrt. 
Diesmal hatte ich nicht den Ehrgeiz 
zu dem 4.500 Meter entfernten Bade¬ 
platz oder zu der 3.300 Meter entfern¬ 
ten Entenseebrücke zu karren, sondern 
setzte schon 15 Minuten später nach 
der Schleuse des Ortsteiches in den 
Hametbach mein Boot ein. Dieser, stel¬ 
lenweise nur einen Meter breite Bach 
hat seine Quelle in den Falkensteiner 
Bergen und speist eine Reihe kleinerer 
Wasserbecken und Teiche von geringer 
Ausdehnung und Tiefe. Bei Regulie¬ 
rungsarbeiten wurden an seinen Ufern 
viele Funde aus der jüngeren Steinzeit 
an das Licht gebracht, die beweisen, 
daß Bernhardsthal schon 2.500 vor 
Christus besiedelt war. Besonders wert¬ 
volle Funde sind ein Beil aus Grünstein 
und eine Lanzenspitze aus weißem 
Feuerstein. Da die Fundstätten für 
Grünstein und weißen Feuerstein an 
der Ostsee liegen, ist der wissenschaft¬ 
liche Beweis geliefert, daß schon in der 
Steinzeit ein Handel und Güteraus¬ 
tausch mit den Völkern der Ostsee 
bestand und die nachmalige Bernstein¬ 
straße schon damals an Bemhardsthal 
vobei ging. 
Ja an all das mußte ich denken, als ich 
unter Anteilnahme der gesamten Dorf¬ 
jugend die 2.300 Meter zur Thaya pad¬ 
delte. Das heißt von paddeln konnte 
vorerst keine Rede sein; man mußte 
froh sein, wenn der Bach so breit war, 
daß man „krickeln" konnte! Oben auf 
dem Damm folgte mir die fröhliche 
Kinderschar und machte sich als Lotse 
nützlich. Fragte da ein Bub, warum ich 
keinen Motor eingebaut hätte. Typisches 
Symptom unser vollmotorisierten Zeit 
dachte ich mir und erklärte ihm, daß 
wir Paddler mit vollgepackten Boots¬ 
wagen der Großstadt mit ihrer Hast, 
Lärm und Motorengebrumm den Rük- 
ken kehren, um an den rauschenden 
Wildwässern oder an den arkadischen 
Gefilden der Auflüsse unverbildete Na¬ 
tur zu erleben. 
Etwas breiter wurde der Bach, endlich 
konnte man wieder richtig paddeln! 
Aber dann war der Hametbach auf 
einer Länge von 400 Meter total ver¬ 
schilft und ich tröstete mich damit, daß 
es im Mündungsgebiet des Orinoco 
auch nicht anders aussehen könne! 
Nur, statt der fröhlichen Kinderschar 
umschwirren einen dort die Giftpfeile 
als Willkommensgruß der Kopfjäger! 
Auch der Schilfgürtel nahm sein Ende 
und hier wäre auch die beste Einsatz¬ 
stelle. 
Doch dann behindern seinen Lauf 4 
Bäume, deren Äste knapp über die 
Wasseroberfläche ragen, und ein an¬ 
derer Bub stellte die Frage, ob ich für 
meine Testfahrt enschädigt würde. Un¬ 
willkürlich mußte ich lachen, denn eine 
amtliche Stelle hat mich zwar zum 
Referenten für Wasserwandem für 
Niederösterreich ernannt aber dann 
nichts mehr von sich hören lassen! In 
Jugoslawien hingegen hat man erfaßt, 
daß auch Faltbootfahrer Devisenbringer 
sind und dort befahrt ausgerechnet ein 
Wiener Paddler im Aufträge der jugosl. 
Fremdenverkehrswerbung sämtliche Ge¬ 
wässer um Unterlagen für einen mehr¬ 
sprachigen amtlichen Flußwanderpro¬ 
spekt zu sammeln. 
Der Rückstau der Thaya machte sich 
bemerkbar; von einem Steg winkten 
mir die letzten Getreuen zu, dann war 
ich allein und 100 Meter oberhalb der 
Mündung in die Thaya schlug ich auf 
einer prachtvollen Wiese mein Zelt auf. 
Da! Keine 50 Schritte entfernt flüch¬ 
teten Trappen, Europas größte Steppen¬ 
vögel, schattenhaft über die unendliche 
Weite des Marchfeldes deren herbe Me¬ 
lancholie Nikolaus Lenau besungen hat. 
Sternklar war die Nacht, ein Rehbock 
schreckte hinter meinem Zelt und am 
nächsten Tag kündigte Lerchengesang 
einen strahlend blauen Morgen an. 
Während ich das Zelt abbaute, leistete 
mir ein Zollinspektor Gesellschaft. Was 
er erzählte war auch für mich alten 
Waldläufer, der in diesem Gebiet jeden 
Stein kennt, sehr interessant. Hoheits¬ 
grenze ist die Flußmitte, es besteht 
jedoch ein gegenseitiges Abkommen 
mit den Tschechen, wonach beim ver¬ 
fallenen Grundwehr, von dem nur bei 
Niederwasser Reste aus der Thaya 
ragen, das tschechische Ufer befahren 
werden darf. Nun nach fünfmaliger 
Befahrung der unteren Thaya kann ich 
empfehlen, bei einer eventuellen Neu¬ 
auflage des Österreichischen Faltboot¬ 
führers aus dem Kapitel „March" das 
Grundwehr bei Bernhardsthal ruhig 
wegzulassen. Walte Gott, daß alle 
Wehre so wenig Hindernis bilden! Ja 
auch ein Pegel ist beim Badeplatz, ca. 
drei Kilometer flußaufwärts von der 
Mündung des Hametbach gemessen 
errichtet worden. Hoffen wir, daß 
dieser Pegel auch der Faltbootzunft 
gute Dienste leistet. 
Am Bug wurde der Verbandswimpel 
gehißt, dem netten Herrn Zollinspektor 
mit seinem treuen Wolfshund winkte ich 
ein letztes Mal zu und nach einigen 
kräftigen Paddelschlägen wurde mein 
Boot von der erdbraunen Thaya erfaßt, 
die bis zur Schiffahrt eine ganz schöne 
Strömung aufweist. Drüben auf der 
slowakischen Seite steht dichter Ur¬ 
wald mit knorrigen Eichen auf denen 
sich Efeu und Lianen ranken. Kladicka, 
eine Fee aus der slowakischen Märchen¬ 
welt schwebt über den üppigen Au¬ 
wald, in dem die Hirsche röhren und 
sich im Moor das Wildschwein suhlt. 
Gespenstisch wirken die abgesoffenen 
Bunker auf denen das Unkraut sprießt. 
Unwillkürlich kommt mir Konfuzius in 
den Sinn: In seinem Epitaph auf einen 
Krieger stellt er resigniert fest, daß 
vom Heldentum nur ein morscher 
Hügel übrig bleibt, auf dem das Un- 
raut rot wie Feuer steht. Ja seit dem 
dieser große Weise aus dem Reiche der 
Mitte jene Verse schrieb, hat sich die 
Welt moralisch nicht viel gebessert. 
Drüben sind, wenn das Dickicht einer 
Wiese weicht,die Wachtürme und der 
elektrisch geladene Stacheldraht deut¬ 
lich zu erkennen. 
Die vier bewaldeten Inseln wurden 
rechts umfahren. Einmal zieht die 
Strömung an das linke, dann wieder an 
das rechte Ufer und die Krümmungen 
des gewaltigen Yukon in Alaska sehen 
auch nicht anders aus! Gottlob, daß die 
Techniker die Thaya noch nicht begra¬ 
digt haben und der Fluß dankt den 
Menschen, daß sie nicht hemmend in 
den natürlichen Reinigungsprozeß ein¬ 
gegriffen haben, denn die Thaya ist 
trotz der Abwässer der Zuckerfabriken 
in Lundenburg noch immer ein sehr 
ertragreiches Fischwasser. Bis zu 120 
Kilogramm schwere Welse werden aus 
der Thaya geangelt und im Mittelalter, 
als noch keine giftigen Abwässer Thaya 
und March verunreinigten, war Hohenau 
ein berühmter Fischmarkt. Drüben bei 
der Mündung der Schiffahrt steht ein 
Bohrturm und zu unserer rechten 
schimmert aus dem Auwald, das auf 
einer Anhöhe liegende Schloß Rabens- 
burg und nach einer 12 Kilometer 
langen Fahrt erreicht man 2 Kilometer 
oberhalb von Hohenau die March. 
Die March (tschechisch Morawa) ent¬ 
springt ganz oben in Schlesien, am 
Südfuß des großen Schneebergs 1260 m 
ü. M., umschlingt mit geringem Gefälle 
wald- und buschbedeckte Auen und 
mündet nach einem Lauf von 378 Kilo¬ 
meter bei Theben elf Kilometer ober¬ 
halb von Preßburg in die Donau. Nun 
aber genug mit der Schulweisheit! Uns 
von der Paddlerzunft interessiert, daß 
sie von der Thaya-Mündung bis nach 
Theben 68.5 Kilometer lang ist, das 
sind zehn gemütliche Fahrstunden bis 
Marchegg und weitere zwei bis zur 
Mündung. Der Fluß hat bis Marchegg 
etwa vier Stundenkilometer Strömungs¬ 
geschwindigkeit. Unter Marchegg ist er 
allerdings infolge des Donaurückstaues 
praktisch ein Stausee, den man durch¬ 
löffeln muß. Obwohl die March der 
einzige schiffbare Nebenfluß der Donau 
ist, fahren nur vereinzelt kleine Schlep¬ 
per des Strombauamtes und bis zum 
Bau des Donau-Oder-Kanals wird noch 
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ÖSTERREICHS PADDELSPORT 12/60
	        
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