Herbert Gasselseder
Auf den Spuren der Bernsteinstraße
Preisfrage bei einem Paddlerquiz: Wo
gelangt man 70 Kilometer nördlich von
Wien über einen Bach und zwei Flüssen
in die Donau?
An einem azurblauen Nachmittag im
September war des Rätsels Lösung ge¬
funden, als ich mein Boot durch Bern¬
hardsthal karrte. Der freundliche Bahn¬
hofsvorstand versicherte mir, daß mein
Beispiel Schule gemacht habe; einige
von der Wiener Faltbootzunft sei heuer
schon zur Thaya gekarrt.
Diesmal hatte ich nicht den Ehrgeiz
zu dem 4.500 Meter entfernten Bade¬
platz oder zu der 3.300 Meter entfern¬
ten Entenseebrücke zu karren, sondern
setzte schon 15 Minuten später nach
der Schleuse des Ortsteiches in den
Hametbach mein Boot ein. Dieser, stel¬
lenweise nur einen Meter breite Bach
hat seine Quelle in den Falkensteiner
Bergen und speist eine Reihe kleinerer
Wasserbecken und Teiche von geringer
Ausdehnung und Tiefe. Bei Regulie¬
rungsarbeiten wurden an seinen Ufern
viele Funde aus der jüngeren Steinzeit
an das Licht gebracht, die beweisen,
daß Bernhardsthal schon 2.500 vor
Christus besiedelt war. Besonders wert¬
volle Funde sind ein Beil aus Grünstein
und eine Lanzenspitze aus weißem
Feuerstein. Da die Fundstätten für
Grünstein und weißen Feuerstein an
der Ostsee liegen, ist der wissenschaft¬
liche Beweis geliefert, daß schon in der
Steinzeit ein Handel und Güteraus¬
tausch mit den Völkern der Ostsee
bestand und die nachmalige Bernstein¬
straße schon damals an Bemhardsthal
vobei ging.
Ja an all das mußte ich denken, als ich
unter Anteilnahme der gesamten Dorf¬
jugend die 2.300 Meter zur Thaya pad¬
delte. Das heißt von paddeln konnte
vorerst keine Rede sein; man mußte
froh sein, wenn der Bach so breit war,
daß man „krickeln" konnte! Oben auf
dem Damm folgte mir die fröhliche
Kinderschar und machte sich als Lotse
nützlich. Fragte da ein Bub, warum ich
keinen Motor eingebaut hätte. Typisches
Symptom unser vollmotorisierten Zeit
dachte ich mir und erklärte ihm, daß
wir Paddler mit vollgepackten Boots¬
wagen der Großstadt mit ihrer Hast,
Lärm und Motorengebrumm den Rük-
ken kehren, um an den rauschenden
Wildwässern oder an den arkadischen
Gefilden der Auflüsse unverbildete Na¬
tur zu erleben.
Etwas breiter wurde der Bach, endlich
konnte man wieder richtig paddeln!
Aber dann war der Hametbach auf
einer Länge von 400 Meter total ver¬
schilft und ich tröstete mich damit, daß
es im Mündungsgebiet des Orinoco
auch nicht anders aussehen könne!
Nur, statt der fröhlichen Kinderschar
umschwirren einen dort die Giftpfeile
als Willkommensgruß der Kopfjäger!
Auch der Schilfgürtel nahm sein Ende
und hier wäre auch die beste Einsatz¬
stelle.
Doch dann behindern seinen Lauf 4
Bäume, deren Äste knapp über die
Wasseroberfläche ragen, und ein an¬
derer Bub stellte die Frage, ob ich für
meine Testfahrt enschädigt würde. Un¬
willkürlich mußte ich lachen, denn eine
amtliche Stelle hat mich zwar zum
Referenten für Wasserwandem für
Niederösterreich ernannt aber dann
nichts mehr von sich hören lassen! In
Jugoslawien hingegen hat man erfaßt,
daß auch Faltbootfahrer Devisenbringer
sind und dort befahrt ausgerechnet ein
Wiener Paddler im Aufträge der jugosl.
Fremdenverkehrswerbung sämtliche Ge¬
wässer um Unterlagen für einen mehr¬
sprachigen amtlichen Flußwanderpro¬
spekt zu sammeln.
Der Rückstau der Thaya machte sich
bemerkbar; von einem Steg winkten
mir die letzten Getreuen zu, dann war
ich allein und 100 Meter oberhalb der
Mündung in die Thaya schlug ich auf
einer prachtvollen Wiese mein Zelt auf.
Da! Keine 50 Schritte entfernt flüch¬
teten Trappen, Europas größte Steppen¬
vögel, schattenhaft über die unendliche
Weite des Marchfeldes deren herbe Me¬
lancholie Nikolaus Lenau besungen hat.
Sternklar war die Nacht, ein Rehbock
schreckte hinter meinem Zelt und am
nächsten Tag kündigte Lerchengesang
einen strahlend blauen Morgen an.
Während ich das Zelt abbaute, leistete
mir ein Zollinspektor Gesellschaft. Was
er erzählte war auch für mich alten
Waldläufer, der in diesem Gebiet jeden
Stein kennt, sehr interessant. Hoheits¬
grenze ist die Flußmitte, es besteht
jedoch ein gegenseitiges Abkommen
mit den Tschechen, wonach beim ver¬
fallenen Grundwehr, von dem nur bei
Niederwasser Reste aus der Thaya
ragen, das tschechische Ufer befahren
werden darf. Nun nach fünfmaliger
Befahrung der unteren Thaya kann ich
empfehlen, bei einer eventuellen Neu¬
auflage des Österreichischen Faltboot¬
führers aus dem Kapitel „March" das
Grundwehr bei Bernhardsthal ruhig
wegzulassen. Walte Gott, daß alle
Wehre so wenig Hindernis bilden! Ja
auch ein Pegel ist beim Badeplatz, ca.
drei Kilometer flußaufwärts von der
Mündung des Hametbach gemessen
errichtet worden. Hoffen wir, daß
dieser Pegel auch der Faltbootzunft
gute Dienste leistet.
Am Bug wurde der Verbandswimpel
gehißt, dem netten Herrn Zollinspektor
mit seinem treuen Wolfshund winkte ich
ein letztes Mal zu und nach einigen
kräftigen Paddelschlägen wurde mein
Boot von der erdbraunen Thaya erfaßt,
die bis zur Schiffahrt eine ganz schöne
Strömung aufweist. Drüben auf der
slowakischen Seite steht dichter Ur¬
wald mit knorrigen Eichen auf denen
sich Efeu und Lianen ranken. Kladicka,
eine Fee aus der slowakischen Märchen¬
welt schwebt über den üppigen Au¬
wald, in dem die Hirsche röhren und
sich im Moor das Wildschwein suhlt.
Gespenstisch wirken die abgesoffenen
Bunker auf denen das Unkraut sprießt.
Unwillkürlich kommt mir Konfuzius in
den Sinn: In seinem Epitaph auf einen
Krieger stellt er resigniert fest, daß
vom Heldentum nur ein morscher
Hügel übrig bleibt, auf dem das Un-
raut rot wie Feuer steht. Ja seit dem
dieser große Weise aus dem Reiche der
Mitte jene Verse schrieb, hat sich die
Welt moralisch nicht viel gebessert.
Drüben sind, wenn das Dickicht einer
Wiese weicht,die Wachtürme und der
elektrisch geladene Stacheldraht deut¬
lich zu erkennen.
Die vier bewaldeten Inseln wurden
rechts umfahren. Einmal zieht die
Strömung an das linke, dann wieder an
das rechte Ufer und die Krümmungen
des gewaltigen Yukon in Alaska sehen
auch nicht anders aus! Gottlob, daß die
Techniker die Thaya noch nicht begra¬
digt haben und der Fluß dankt den
Menschen, daß sie nicht hemmend in
den natürlichen Reinigungsprozeß ein¬
gegriffen haben, denn die Thaya ist
trotz der Abwässer der Zuckerfabriken
in Lundenburg noch immer ein sehr
ertragreiches Fischwasser. Bis zu 120
Kilogramm schwere Welse werden aus
der Thaya geangelt und im Mittelalter,
als noch keine giftigen Abwässer Thaya
und March verunreinigten, war Hohenau
ein berühmter Fischmarkt. Drüben bei
der Mündung der Schiffahrt steht ein
Bohrturm und zu unserer rechten
schimmert aus dem Auwald, das auf
einer Anhöhe liegende Schloß Rabens-
burg und nach einer 12 Kilometer
langen Fahrt erreicht man 2 Kilometer
oberhalb von Hohenau die March.
Die March (tschechisch Morawa) ent¬
springt ganz oben in Schlesien, am
Südfuß des großen Schneebergs 1260 m
ü. M., umschlingt mit geringem Gefälle
wald- und buschbedeckte Auen und
mündet nach einem Lauf von 378 Kilo¬
meter bei Theben elf Kilometer ober¬
halb von Preßburg in die Donau. Nun
aber genug mit der Schulweisheit! Uns
von der Paddlerzunft interessiert, daß
sie von der Thaya-Mündung bis nach
Theben 68.5 Kilometer lang ist, das
sind zehn gemütliche Fahrstunden bis
Marchegg und weitere zwei bis zur
Mündung. Der Fluß hat bis Marchegg
etwa vier Stundenkilometer Strömungs¬
geschwindigkeit. Unter Marchegg ist er
allerdings infolge des Donaurückstaues
praktisch ein Stausee, den man durch¬
löffeln muß. Obwohl die March der
einzige schiffbare Nebenfluß der Donau
ist, fahren nur vereinzelt kleine Schlep¬
per des Strombauamtes und bis zum
Bau des Donau-Oder-Kanals wird noch
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ÖSTERREICHS PADDELSPORT 12/60