Volltext: Österreichs Kanusport 1979 (1979)

Qued oum er Rbia — Die Mutter des Frühlings 
Von Franz Xaver Riegel, Mühlstraße 7, 8084 Inning a. A., Telefon 0 81 43 / 81 30 II. TEIL 
Andy genehmigt sich zum Nachtisch „Tomatenfisch ä la 
Adalbert“. Er öffnet die Fischdose, biegt den Deckel zurück 
und legt eine Scheibe Käse über den Fisch. Das Ganze 
wird in der Glut überbacken. 
„Morgen müssen wir mehr Kilometer fahren“, meint Pit, 
„sonst kommen wir Weihnachten in Khenifra an.“ 
Im Feuer glühen dicke Kloben, aber wir schlüpfen doch 
bald in unsere Schlafsäcke, es ist empfindlich kühl. Neben 
meinem Schlafsack habe ich einen kleinen Vorrat an dün¬ 
nen Ästen gestapelt, werfe ab und zu etwas davon ins 
Feuer und kann so an meinem Tagebuch schreiben. Da 
hat Andy eine bessere Idee. In seiner leeren Fischdose 
hat er schon eine ganze Zeit das Fett aufgefangen, das 
von der Speckschwarte heruntertropft. Aus einem Stück 
Schnur dreht er einen Docht, tränkt ihn in dem Fett, und 
schon ist das Öllämpchen fertig. Es brennt wirklich mit 
heller, gelber Flamme. 
Der vergangene Tag war so voller Erlebnisse, und die 
ganze Zeit auf dem Fluß waren wir dermaßen angespannt, 
daß wir erst jetzt, am Lagerfeuer, diese Eindrücke verar¬ 
beiten können. 
Vom wassertechnischen ist der „Rbia“ für uns die oberste 
Grenze. Darüber sind wir uns einig. 
Freilich würde jeder von uns ohne Bedenken solches Was¬ 
ser auf bekannten Flüssen „daheim“ fahren. Die Schwie¬ 
rigkeiten sind da ziemlich genau kalkulierbar, das Auto 
ist in Reichweite und meistens ist der Weg zur Straße auch 
nicht zu weit. 
Wenn wir hier, auf einem Wasser, über das es keinerlei 
Material gibt, einen Wasserfall oder einen schweren Kata¬ 
rakt auf seine Befahrbarkeit untersuchen, bleiben immer 
einige Fragen offen. Wird uns die Walze wieder freigeben? 
Läßt sich die einzig mögliche Durchfahrt erwischen? Gibt 
es irgendwo verborgene Tücken? Und wenn ein Boot 
abschwimmt, oder so stark beschädigt wird, daß es sich 
nicht mehr reparieren läßt? 
Aber am heutigen Tag ist alles gut gegangen. Wir waren 
wagemutig, aber mit der nötigen Vorsicht. Keine einzige 
Stelle mußten wir umtragen, Landschaft und Wasser waren 
prächtig, und in unserem kleinen Team ist alles gut und 
harmonisch abgelaufen. Wir sind zufrieden und auch stolz. 
„Jetzt noch einen Schnaps, dann würde ich mich fühlen, 
wie im siebenten Himmel!“ Pit hat meinen Stoßseufzer er¬ 
hört und kramt, ich traue meinen Augen nicht, aus seinem 
Gepäck einen „Flachmann“, der mit wunderbar duftendem 
Obstler gefüllt ist, hervor. Da kann nicht einmal Andy, 
unser Abstinenzler, widerstehen. 
Beim Aufwachen ist es empfindlich kühl. Vom Schlafsack 
aus schüren wir das Feuer an und mit der ersten Tasse 
Kaffee kommt auch die Sonne heraus. 
Erst jetzt sehen wir, wie schön unser Lagerplatz ist. Wir 
lagern auf einer Lichtung, die zum Fluß hin offen ist. Um 
uns herum wachsen Oleanderbüsche, Olivenbäume und 
Birken. Wie dieser nordische Baum seinen Weg nach Afrika 
gefunden hat, ist uns ein Rätsel. 
Eine Herde zotteliger Ziegen zieht vorbei, oben vom 
Schluchtrand pfeift ein Hütejunge. 
Pit und Andy jagen unten am Fluß Wasserschildkröten, 
leider erfolglos, denn so eine Schildkrötensuppe wäre eine 
feine Bereicherung in unserem Speiseplan. 
Nach dem Kartenstudium, wir haben französische Militär¬ 
karten von 1953, sind wir nur ca. 6 km gefahren. Und wenn 
sich die „Mutter des Frühlings“, so die wörtliche Über¬ 
setzung von Oum er Rbia, nicht ein bißchen beruhigt, wer¬ 
den wir mit unseren drei veranschlagten Tagen nicht aus- 
kommen. So frühstücken wir ausgiebig und wollen das 
Mittagessen ausfallen lassen. 
Kehrwasserfahren muß man im Schlaf beherrschen. 
Gleich nach dem Start müssen wir eine endlose Reihe 
von Katarakten durchfahren. Die Schluchtränder treten 
weiter zurück, aber die Uferbewachsung wird immer dich¬ 
ter, wir kommen uns vor, wie im Dschungel. Die hohen 
Wellen schmeißen uns hin und her, oft genug müssen wir 
den Kopf einziehen und hören die Äste auf den Helm 
klatschen. 
Vor uns schießt der Rbia durch einen Laubtunnel, weit und 
breit ist kein Kehrwasser zu entdecken. Auch ein Ende 
dieser Strecke ist nicht abzusehen, was bleibt uns also 
anderes übrig, als auszusteigen und die Strecke zu Fuß 
abzugehen? 
Am rechten Ufer geht es schon nach wenigen Metern nicht 
mehr weiter. Wir müssen ein ganzes Stück flußaufwärts 
laufen, um in der scharfen Strömung rechtzeitig das andere 
Ufer zu erreichen. 
Und auch dort ist das Vorwärtskommen nicht ganz einfach. 
Dichter Oleanderurwald, armdicke Dornenranken und 
Zäune aus Schwemmholz, manchmal mehrere Meter hoch, 
gilt es zu überwinden. 
Vögel zwitschern und singen im Gestrüpp, und eine Un¬ 
menge Frösche hüpft in den brackigen Altwässern herum. 
Eine Schlange huscht vor mir ins Wasser, die einzige, die 
wir überhaupt gesehen haben. Andy fängt einen hand¬ 
tellergroßen Krebs, Pit sammelt ein Büschel Pfefferminz¬ 
kraut. 
Wenn rechts auf der Anhöhe einige Lehmhütten erschei¬ 
nen, folgen mehrere wuchtige Abfälle mit heimtückischen 
Schrägwalzen. Dann wird der Fluß breit, das Wasser strömt 
nur träge dahin. Die Ufer sind sumpfig und dicht mit Minze 
bewachsen. An den Lehmwänden haben sich Kakteen und 
Agavenbüschel festgekrallt. 
Wir fahren sehr vorsichtig weiter, vor uns hören wir dump¬ 
Österreichs Kanusport 9/10 1979 
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