Volltext: Briefe und Tagebuchblätter

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Ich habe in diesen Tagen so recht gefühlt, was für mich Farben¬ 
stimmung ist: daß alles auf dem Bilde feine Lokalfarbe wechselt 
nach dem gleichen Prinzip, daß alle gebrochenen Töne dadurch eine 
einheitliche Verwandtschaft erhalten. 
1. Dezember 1902. 
Ich las und sah Mantegna (im Knackfußheft). Ich fühle, wie er 
mir gut tut. Diese ungeheure Plastik, die er besitzt, die gibt eine 
solche Stärke des Wesens. Das grade fehlt meinen Sachen. Wenn 
bei der Größe der Form, die ich anstrebe, noch dieses Wesenhafte 
dazukäme, so ließe sich etwas machen. Im Augenblick stehen mir 
einfache, wenig gegliederte Sachen vor Augen. 
Meine zweite Hauptklippe ist mein Mangel an Intimität. 
Die Art, wie Mackensen die Leute hier auffaßt, ist mir nicht 
groß genug, zu genrehaft. Wer es könnte, müßte sie mit Runen¬ 
schrift schreiben. 
Mir schwebt etwas vor wie im Louvre: Das Grabmal mit den 
acht tragenden Figuren. 
Kalckreuth hat in seinen alten Frauen manchmal dies merk¬ 
würdige Runenhafte. Die Frauen mit den Gänsen und die Alte 
mit dem Kinderwagen. 
Merkwürdig, mir ist es, als ob meine Stimme ganz neue Töne 
hätte und als ob mein Wesen neue Register hätte. Ich fühle es 
größer werden in mir und weiter. Wolle Gott, es würde etwas 
mit mir. 
* 
Briefe an Otto Modersohn 
Mein geliebter Mann, Worpswede, den 4. November 1902. 
dies ist nun der erste Abend der ersten größeren Trennung in 
unserer Ehe. Es gibt mir ein eigenes Gefühl. Du, in Gesellschaft 
Deiner Familie, kommst vielleicht gar nicht so zum Bewußtsein 
dessen. Ich schwelg darin. Schwelg in meiner Einsamkeit, Deiner 
Liebe gedenkend. 
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