Volltext: Briefe und Tagebuchblätter

1901 
Briefe an Otto Modersohn 
Berlin, den 13. Januar 1901. 
Ach bin nun in Berlin und fühle mich sehr zahm und sehr eng 
und möchte die Wände sprengen und ein Stück Himmel sehen. Ich 
glaube, ich werde diese zwei Monate es doch sehr schwer haben, 
passe in solch eine Stadt nicht, hauptsächlich nicht hierher ins ele¬ 
gante Viertel. Da falle ich aus dem Rahmen. In Paris, das Quar¬ 
tier latin, das war doch etwas anderes. Die Menschen um mich 
sind süß und freundlich. Aber ihr Leben spielt sich doch sehr in 
einer standesgemäßen Veräußerlichung der Dinge ab. Dabei sind 
es zarte, vibrierende, sensitive Frauen, Gartenblumen, und mein 
Blühen ist doch so sehr im Felde. Es wird schon alles werden, nur 
kommt meine arme kleine Seele in einen Käfig. Wenn ich ihr 
Worpsweder Freiheit ließe, würde sie in ihrer Ungebundenheit in 
diesem Glasschrank viel Schaden anrichten. 
Gesehen habe ich noch nichts. Nur viele Gesichter. Davon hat 
mich manches interessiert und angezogen. Im ganzen beherrscht 
mich stark das Gefühl von beschnittenen Flügeln. Wenn ich mein 
Leben erst geordnet habe in Kunst und Kochen, dann wird's wohl 
besser sein. Hier in der Nähe ist eine Kochschule beiderlei Gestalt, 
einfacher Mittagstisch und Puterbraten. 
Lieber, war unser letzter Eistag zusammen nicht schön? Und war 
es hinterher bei Euch noch so schön als bei mir? Ich denke daran 
mit Sehnsucht. Ist Worpswede überhaupt nicht wunderschön? Ob 
Ihr wohl heute wieder auf dem Eise seid? Mich würde es so für 
Dich freuen. Das bringt Leben und Pulsschlag und Fröhlichkeit. 
Heute nachmittag gehe ich zu Rilke und danke ihm auch in Dei¬ 
nem Namen für die „Geschichten vom lieben Gott". Leider gefallen 
sie mir nicht alle ganz. Es wird schwer sein, darüber zu sprechen. 
Nun, wir werden ja sehen. Er ist ja ein Mensch, der Dinge leicht 
macht. 
157
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.