Volltext: Die militärische, wirtschaftliche und finanzielle Rüstung Deutschlands von der Reichsgründung bis zum Ausbruch des Weltkrieges (Erster Band)

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Rückblick. 
Vermehrung bei voller Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht könne den 
inneren Wert der Landmacht beeinträchtigen, war man in jenen entschei 
denden Jahren geneigt, bei allen organisatorischen Neuerungen das Haupt 
gewicht auf die Erhaltung der Güte des Heeres zu legen. Zahl oder 
Güte, so war damals die Fragestellung, auf die die rechte Antwort im 
Schlieffenschen Sinne lauten mußte: Zahl und Güte! Hiernach hatten 
Deutschlands Nachbarn im Westen und Osten gehandelt, und insbesondere 
in Frankreich war es gelungen, neben Wahrung des inneren Wertes des 
Heeres auch die Kopsstärke erheblich zu vermehren. So berechtigt die im 
Kriegsministerium seinerzeit vertretene Auffassung von der Notwendig 
keit einer Beschränkung des Wettrüstens zwischen den europäischen 
Mächtegruppen an sich sein mochte, so war doch eine einseitige An 
wendung dieses Grundsatzes auf Deutschland, ohne internationale Bin 
dungen, angesichts seiner militärpolitisch gefährdeten Lage inmitten Europas 
mit offenen Landesgrenzen und bei der immer stärker anwachsenden Über 
legenheit seiner voraussichtlichen Gegner nicht unbedenklich. Cs war 
daher verständlich, daß nach der ersten Marokkokrise dem verantwortlichen 
Leiter der deutschen Reichspolitik, Fürsten Bülow, ernste Bedenken kamen, 
ob die vom Kriegsminister geübte rüstungspolitische Zurückhaltung noch 
länger zu verantworten sei. Sein Mahnruf zu einem stärkeren Heeresaus 
bau fand indessen im Kriegsministerium nicht den nötigen Widerhall. So 
kam es, daß hinsichtlich des zahlenmäßigen Ausbaues des Landheeres die 
Jahre von der Jahrhundertwende bis zum Fahre 1911 beinahe als soge 
nannte „Rüstungsfeierjahre" zu bezeichnen waren. Gegenüber dieser von 
der Deutschen Regierung freiwillig und einseitig geübten Rüstungsenthalt 
samkeit zu Lande erscheint Deutschlands ablehnende Haltung auf den beiden 
Haager Konferenzen der Fahre 1899 und 1907 um so unverständlicher, als 
sie der deutschen Politik das Mißtrauen fast des gesamten Auslandes 
eintrug. 
Rückschauende Betrachtung der deutschen Rüstungspolitik jener Jahre 
wird freilich erkennen, daß ein stetiger Ausbau der Wehrmacht zu Lande 
im Sinne der allgemeinen Wehrpflicht durch den gleichzeitigen Aufbau der 
in jenen Fahren erstehenden jungen Seemacht wesentlich erschwert wurde. 
Cs soll hier nicht entschieden werden, ob die Leistungsfähigkeit des deut 
schen Volkes und die Finanzkraft des Reiches die gleichzeitige Lösung der 
beiden großen Aufgaben, Erhaltung und Fortentwicklung 
einer starken Landmacht und Schaffung einer starken Seemacht, ermög 
lichte. Für die Beantwortung dieser Frage wäre als Maßstab vor allem 
ein Vergleich der Ausgaben der führenden Militärmächte Europas für den 
Unterhält von Heer und Flotte in der Zeit vor Ausbruch des Sieges heran
	        
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