Volltext: Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft. Anlagen zum ersten Band (1,2)

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Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft — Anlage-Band. 
Denkschrift, betreffend die weitere Entwickelung der deutschen Wehrkraft 
Abschrift 
Die politischen Ereignisse der letzten Wochen enthalten kein Anzeichen dafür, daß 
ein Krieg nahe bevorstände, sie verstärken aber die Ansicht, daß eine kriegerische CnL-? 
scheidung über lang oder kurz unvermeidlich sei. Wie verhängnisvoll für den unter 
liegenden Teil dieser nächste, europäische Krieg werden kann, braucht nicht mehr 
erörtert zu werden. Daß solcher politischen Lage gegenüber die Wehrkraft des 
Reiches auf das äußerste zulässige Maß gesteigert werden müsie, war der Grund 
gedanke derjenigen Vorlage (Verdysches Projekt, Idee Scharnhorst), zu der die ver 
bündeten Regierungen in der vorletzten Session des Reichstages den ersten Schritt 
taten. Wenn dieser Schritt so schwierig wurde und wenn ihm weitere Folgen zu 
nächst, der in Erregung über große neue Lasten geratenen öffentlichen Meinung 
gegenüber, nicht gegeben werden konnten, so hatte dies seinen Grund in dem Mangel 
an völliger Offenheit über die letzten Ziele, in der fehlenden finanziellen Vorbereitung 
und in dem Umstande, daß das von immer weiteren Kreisen der Bevölkerung begehrte 
Äquivalent der zweijährigen Dienstzeit bei den Fußtruppen nicht geboten wurde. 
Überzeugen sich die verbündeten Regierungen davon, daß auf dem jetzigen 
Stande der Entwickelung der deutschen Wehrkraft nicht stehengeblieben werden kann, 
so muß die Unterstützung der Nation für die weiteren Schritte gewonnen werden. 
Der gegenwärtige Reichstag hat noch drei Sitzungen vor sich. Seine Stellung wird 
militärischen Mehrforderungen gegenüber voraussichtlich dieselbe bleiben wie im 
vorigen Jahre, Kronstadt wird daran nichts ändern^). Eine Auflösung ohne Zu 
geständnis der zweijährigen Dienstzeit würde einen willigeren Reichstag nicht 
ergeben, ein Konflikt aber, in dessen weiterem Verfolg ein Staatsstreich liegen würde- 
muß meines Erachtens unter allen Umständen vermieden werden. Ein Konflikt darf 
nicht mit einer Niederlage der Regierung enden. Schon ehe man den ersten Schritt 
zu einem Konflikt tut, muß man sich darüber klar sein, ob man die letzten Kon 
sequenzen ziehen kann und will, d. h. ob man zu einem Staatsstreich in dieser oder 
jener Form greifen will. Ein solcher, beispielsweise auf Änderung des Wahlgesetzes 
abzielender Staatsstreich, mag aus anderen Motiven, z. V. nach einem Straßenkampf 
gegen die Sozialdemokratie, durchführbar sein, um der dreijährigen Dienstzeit willen 
aber kann er zur Auflösung des Deutschen Reiches führen und verhängnisvoller 
werden wie ein verlorener Feldzug. Von der Beantwortung der Frage: ob man es 
auf einen Staatsstreich ankommen lasten kann, muß rückwärts konstruiert werden, sie 
entscheidet alles Weitere. Verneint man sie, so reduziert sich das Übrige auf die 
Frage: entweder den Status quo in militaribus belasten oder die zweijährige Dienst 
zeit in den Kauf nehmen. 
Das lose gefügte Reich ist an sich wenig für die Anwendung extremer Mittel 
geeignet, und würde jedes ernstere Zerwürfnis zwischen den verbündeten Regie 
rungen untereinander oder zwischen diesen und der Bevölkerung zur Zeit nur dem 
feindlichen Auslande zu Gute kommen. Ein Konflikt im gegenwärtigen Augenblick 
würde unseren auswärtigen Gegnern als ein Zeichen der Schwäche, als eine Auf 
forderung zum Kriege erscheinen. Wir haben aber niemals mehr Grund gehabt 
Deutschland nach außen hin einig erscheinen zu lasten, wie gerade jetzt. 
i) Am 23. Juli 1891 landete ein französisches Geschwader in Kronstadt und 
wurde mit Jubel begrüßt.
	        
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