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Dachstein-Gruppe.
hängen strebt im Hintergrund des Schladminger Oberthals das
Schiedeck empor. Das Ennsthal ist schon tief unter uns. Jetzt treten
wir in kühlen Tannenwald ein. Der in Serpentinen angelegte gute
Weg führt nun in V 2 St. auf die Höhe zum Vasold’schen Torfstich,
wo man, urplötzlich durch den Anblick der nahen Riesenmauer über
rascht, unwillkürlich minutenlang stehen bleibt. Ueber. die Tannen
wipfel im Vordergrund erheben sich aus weiten Schutthalden bis zu
den Wolken die weissen Kalkmauern. Umrauchen Nebel die zacken
geschmückten Grate und hängen herab in den langen Schneehalden,
welche zwischen bleichen Felswänden eingebettet liegen, oder starren
die grellen, röthlichweissen Bastionen gegen einen wolkenlosen blauen
Himmel, immer wird ihr Anblick den Wanderer auf das höchste
überraschen.
Wie ganz anders ist die Aussicht nach S. Tief unten im grünen,
von der Enns durchzogenen Thalgrund liegt freundlich zu Füssen der
nette Markt Schladming, überragt von den schönen Formen der
Niederen Tauern. Ihre hohen, scharf geschnittenen, meist schnee
gefurchten Pyramiden und Hörner bilden einen seltsamen Contrast
zu dem leuchtenden Grau des Kalkgebirges.
Am Torfstich vorbei, über Matten und durch Wäldchen, deren
lichtes Gezweige die Felsen der Scheichenspitze durchschimmern
lässt, gelangt man in 1 / 2 St. nach St. Ruprecht am Kulm. Neben dem
katholischen Kirchlein und Pfarrhaus ladet das reinliche Kulmwirths-
haus zur Rast ein. Gute Unterkunft findet man in dem bescheidenen
Gehöfte, das, sowie die ganze Ramsau noch nicht von den Segnungen
der Uebercultur heimgesucht wurde.
In einer Meereshöhe von 900—1100 m gelegen, bildet die
Ramsau eine gegen 0. sanft abfallende Fläche, welche durch den
bewaldeten Kulmberg in zwei ungleiche Theile geschieden wird. Die
südliche Hälfte bildet den Vorberg und fällt mit der Ramsauleiten
gegen das Ennsthal ab. Der weitaus grössere nördliche Theil hingegen
breitet sich unmittelbar zu Füssen der Scheichenspitze aus. Die
reinlichen, sorgfältig eingezäunten, von prächtigen Wegen durch
zogenen Culturen, das saubere Aussehen der braunen Holzhäuschen,
kurz Alles lässt auf eine intelligente, fleissige Bevölkerung schliessen.
In der That zeichnet sich der Ramsauer im Gegensatz zu den
Bewohnern der meisten Gegenden Obersteiermarks durch seltene
geistige Anlagen aus; er liebt es, sich durch die Lectüre gemein
nütziger Werke eine Bildung anzueignen, welche den Fremden oft
m Staunen versetzt.
Die Viehzucht ist die Haupteinnahmsquelle, doch wird auch
vielLoden erzeugt. Längs aller Wege sind Vogelbeerbäume angepflanzt,
die im Herbst durch den Schmuck ihrer rothen Beeren auffallen.
Nebst kleinen Kirschen werden diese Beeren zum Brennen von Schnaps
verwendet.