Volltext: Arras, Lille u. La Bassee (7,2 / 1916)

Erinnerungen und ernste Betrachtungen. 
Am 6. Oktober, morgens, kurz nach 6 Uhr passier¬ 
ten wir den Hamburger Hauptbahnhof und bald darauf auch 
den alten Hannoverschen Bahnhof. Hatten wir erst befürch¬ 
tet an die russische Grenze gebracht zu werden, so wußten wir 
nun, daß es nach Westen ging. Still nahm ich Abschied von 
meiner Familie, von der Heimat und von allen Freunden und 
Bekannten; wer weiß, ob wir uns wiedersehen? Wir fuhren 
zunächst nach Münster i. W., wo ich Zeit fand, von der schönen 
alten Stadt, in welcher die Wiedertäufer gehaust und in wel¬ 
cher nach dem 30jährigen Krieg der Friede geschlossen wurde, 
so viel wie möglich zu sehen. Dienstlich waren wir froh, als 
wir die Stadt hinter uns hatten, jedoch bedauere ich nicht, in 
Münster gewesen zu sein. Dort hatte ich Gelegenheit zu sehen, 
welch grauenhafte Verwüstungen der Krieg an blühend schö¬ 
nen Menschenkindern anzurichten vermag. Immer und im¬ 
mer wieder sahen wir neben den einlaufenden Zügen mit er¬ 
oberten Kanonen usw. endlos lange Züge mit verwundeten 
Deutschen und Franzosen. Zusammengenommen waren es 
Bilder unsäglichen Jammers, die nie in meiner Seele verlö¬ 
schen werden. Nur einige davon will ich Revue passieren las¬ 
sen. Aus einem Wagen wurde ein hübscher Junge herausge¬ 
tragen — er war nicht mehr transportfähig — Schuß durch 
die Brust und Schuß durch den Bauch. Bleich und regungs¬ 
los lag er auf der Bahre. Aus den dulderstill geschlossenen 
Augen rannen ihm unausgesetzt die Tränen über die Wangen 
und die zuckenden Mundwinkel. Waren es nur Tränen der 
Schmerzen, oder waren es Tränen, die das Gefühl des heran¬ 
nahenden Todes bei dem stillen Abschied im Herzen von einem 
Lieben in der fernen Heimat ausgelöst hatten? Diese, sich mir 
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