Volltext: Kriegserlebnisse ostpreußischer Pfarrer 2. Band (2. Band / 1915)

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D'sche Hotel zu betreten. Während nun die Beiden mit 
einander sprachen, hatten die Infanteristen auch noch andere 
bedrohend belästigt und machten Miene, auch mich, der ich 
ganz zufällig des Weges daherkam, anzurempeln. Kaum 
hatte der Offizier dies bemerkt, da rief er ihnen von weitem 
in russischer Sprache sofort ein energisches Halt zu, und 
forderte sie zu wiederholten Malen auf, stehen zu bleiben, 
es war alles umsonst. Die Kerle standen nicht, sondern 
nahmen einfach Reißaus. Nun setzte sich aber der Leut 
nant, so schwer es ihm auch wurde, in Trab, eilte ihnen 
nach und hatte schon die Hand an den Revolver gelegt, 
um auf die beiden Leute zu schießen, nahm aber schließ 
lich doch davon Abstand, da die Entfernung bis zu den 
Ausreißern noch ziemlich groß war und er auch von 
unserer Zivilbevölkerung mehrere Neugierige wohl nicht 
gefährden wollte. Um die Disziplin im russischen 
Heere ist es also — das lehrt dieser Vorfall nur zu 
deutlich — nicht besonders bestellt. Diese aufregende 
Szene gab übrigens einigen überängstlichen Frauen, die 
im letzten Augenblick erst aus ihren Wohnungen heraus 
gestürzt waren, Anlaß zu dem Glauben: die Tartaren 
seien im Anmarsch und wollten die Stadt beschießen und 
der Leutnant sei im Begriff, dies zu verhindern. — 
Dauernde Einquartierung hatten wir, wie ich schon 
erwähnte, in diesen Wochen der Russenherrschaft in un 
serm Städtchen nicht; aber alle paar Tage erlebten wir 
gewaltige Durchzüge russischer Truppen, die, von Suwalki 
kommend, auf unserm weiten Markt Rast hielten; in un 
endlich langen, unabsehbaren Reihen zogen namentlich 
des öfteren Kolonnen mit Munition und Bagage 
hinterher — auch meist noch ca. 30—40 Stück wertvolles 
Vieh, das sie unterwegs auf den Gütern und Dörfern 
geraubt hatten, durch unsere Stadt und wälzten sich weiter 
nach Westen fort. — Was sollte daraus werden? Wie 
sollte das enden? Man kann sich wohl denken, daß uns 
Zurückgebliebenen bei diesem Anblick nicht gerade sehr 
leicht ums Herz war. Wir wußten ja noch nichts von 
dem siegreichen Vordringen unserer Truppen in Frank 
reich, von den herrlichen Erfolgen, die denselben berefts 
beschieden gewesen waren. Wir sahen nur diese unge-
	        
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