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Telephonleitung zu zerstören. Namentlich auf der Post
wurde eine recht gründliche Haussuchung abgehalten. Alle
die Koffer von unsern Reservisten und Landwehrleuten,
die da noch in großer Zahl umherstanden, wurden von
den Russen aufgebrochen, durchsucht und die darin be
findlichen Kleidungsstücke kreuz und quer durcheinander
geworfen. Es war ein wüstes Bild, das sich nach wenigen
Stunden unsern Blicken darbot.
Bisher war es den Russen noch immer nicht, trotz
dem der Krieg nun doch schon 14 Tage dauerte, gelungen,
von einer deutschen Stadt Besitz zu ergreifen. Soldau,
auf das sie es ganz besonders abgesehen hatten, war von
unsern Truppen hartnäckig und mit bestem Erfolge ver
teidigt worden. Daher schienen die Russen nun ganz be
sonders stolz zu sein, daß sie unser Marggrabowa, das
kleine, ungeschützte Grenzstädtchen, erobert hatten. — An
einer Siegestrophäe sollte es ihnen glücklicherweise auch
nicht fehlen. Auf dem Bodenraum des Postgebäudes
hatten sie die Fahne entdeckt, die bei festlichen Anlässen
auf demselben gehißt wurde; diese holten sie herunter,
brachten sie zu den auf dem Markt aufgestellten Truppen
und nahmen sie wie eine im Kampf erbeutete Fahne mit
begeistertem Hurra und dreimaligem Hoch auf den Zaren
in Besitz.
Man kann sich wohl vorstellen, daß uns bei dem
Anblick dieses Schauspiels, das sich da unten auf dem
weiten Marktplatz vor unsern Augen abspielte, nicht ge
rade sehr erhebend zu Mute war. — Es war gewiß nicht
Angst, was uns in jenem Augenblick erfüllte. Dazu war
ja kein besonderer Anlaß vorhanden, aber doch ein tiefes
Weh, eine große Bangigkeit um das Schicksal des geliebten
Vaterlandes. Die Russen waren nun also doch bei uns
eingebrochen — und wer mochte es voraussagen, wie die
Dinge sich weiter entwickeln würden?! — Sollte dies
der Anfang eines großen Trauerspiels für unser Vater
land und insbesondere für unsere liebe Heimatprovinz
Ostpreußen werden?!
Wir hatten uns schon darauf gefaßt gemacht, daß die
russischen Reiter — die im übrigen in den Fleischer- und