Volltext: Kriegserlebnisse ostpreußischer Pfarrer 2. Band (2. Band / 1915)

weiter Umgebung waren menschenleer. Am Tage saßen 
die Leute im Bruch, im Schnee eingegraben und mit weißen 
Decken bedeckt, wenn die Kosaken kamen, in der Nacht 
schliefen sie auf dem Gehöft. Starb irgendwo ein Mensch, 
wurde er bei Nacht auf dieses Gehöft gestohlen. Bei 
Nacht zimmerte ein anwesender Tischler den Sarg. Bei 
Nacht begrub man die Leiche. Dauernd waren Posten 
ausgestellt, die sich stündlich ablösten. Beim Herannahen 
der Kosaken floh alles in den Bruch, und nur die alten 
Frauen blieben zurück, die den Russen zu essen geben 
und sich allmählich auch ihre letzte Habe wegstehlen lassen 
mußten. Gott aber sei es geklagt, daß nicht nur zwei 
polnische Weiber, sondern auch eine Frau aus der eignen 
Gemeinde sich dazu hergaben, den Feinden Winke zu 
geben, wo und wie sie Schandtaten schlimmster Art ver 
üben konnten. Und so wurden denn Frauen gemißhandelt 
und auch junge Mädchen nicht geschont, die die Kinder 
schuhe noch nicht ausgetreten hatten. Ms wir nach sehr 
langsamer Fahrt gegen Morgen ans Ziel kamen, fand 
ich auf allen Gesichtern geschrieben und aus jedem Munde 
bestätigt: es war eine schreckliche Zeit der Angst und Not. 
Am nächsten Morgen fuhren wir nach Schirwindt. 
Ich werde diese Fahrt in meinem ganzen Leben nicht 
vergessen. Ein sonnenheller Tag lachte freundlich über 
der Erde. Wie aber sah diese Erde aus! Ein Nachbar 
gut war freilich unberührt geblieben, nur die Futter 
vorräte hatten die Russen fortgefahren und die Innen 
einrichtung des Wohnhauses in unglaublicher Weise ver 
wüstet und beschmutzt. Kein Möbelstück war ganz ge 
blieben, selbst die Tischfüße und Stuhlbeine waren noch 
extra zerschlagen. Je näher wir aber zu den Chausseen 
hinkamen, um so mehr häuften sich die Zeichen der Ver 
wüstung. Scheunen und Ställe waren verbrannt, die 
Wohnhäuser teils verbrannt, teils bis auf die kahlen 
Wände ausgeplündert oder demoliert. Zerbrochene Lanzen, 
Flinten „aus der guten, alten Zeit" lagen an der Straße, 
dazu Pferdekadaver, zerschlagene Munitionskisten, umge 
stürzte Wagen, Russenmützen, ausgebrannte Automobile, 
alles im wirren Durcheinander. Aus der Ferne winkten 
mir die Türme meiner Kirche. Sie standen also noch. 
Noszeik, Ariegserlebniffe ll. 6 
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