Volltext: Kriegserlebnisse ostpreußischer Pfarrer 2. Band (2. Band / 1915)

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wird's nun lebendig, alles will flüchten in der Furcht: 
die Russen kehren wieder. Nun hieß es aber auch 
eilen, und meine Mutter liegt seit 3 Wochen an 
Typhus erkrankt und kann sich nicht rühren. Ein 
Leiterwagen war beim nächsten Arbeiterhause vorge 
fahren, dorthin wurde Mutter getragen, in Betten ge 
packt und einige Eßsachen und etwas Bekleidungsstücke 
auch auf den Wagen geworfen. Aber was kam da nun 
noch alles zu; es waren sehr viele Sachen und sehr viele 
Leute, die den Wagen beschwerten. Ich fuhr leicht be 
schwingt auf meinem Rade nebenher, aber mein Gemüt 
war weniger leicht beschwingt und besonders, als der 
schwere Wagen vor dem kleinen Berge stehen blieb, erst 
recht nicht. Die rüstigen Leute mußten nun herunter vom 
Wagen und weiter ging's etwa 2 Kilometer, da wollen 
wir bleiben, zumal einige Reiter sich zeigten, die, wie 
richtig vermutet, deutsche Kürassiere waren. Gutsleute 
gingen nun das schöne Vieh zusammenzutreiben; das ge 
lang auch, die Russen kamen nicht wieder. Aber wir 
wollten trotzdem etwas weiter bis ins nächste Dorf. Spät 
in der Nacht kamen wir endlich dahin und es öffnete 
sich uns ein gastliches Jaus, so daß wir nicht wie die 
Mehrzahl draußen zu liegen brauchten. Am nächsten 
Morgen mußte ich nun sehen, meine Mutter ins 
Neidenburger Krankenhaus zu bringen; ich setzte mich 
früh aufs Rad, um mir die Gewißheit der Auf 
nahme zu verschaffen, und wie glücklich traf ich's. 
Als ich vom leitenden Militärarzt die Erlaubnis er 
hielt, erfuhr ich zugleich, daß die ganze Truppe in etwa 
einer Viertelstunde aufbreche. Gut, daß ich so zur Zeit 
kam. Jetzt suchte ich auch den Zerrn Superintenden 
ten auf und erfuhr von ihm den angekündigten Buß- 
und Bettag. Ja, wie sollte ich den halten, da ich auf 
der Flucht war; ich habe dafür am nächsten Tage einen 
Flüchtlingsgottesdienst gehalten. Froh, meine Heimfahrt 
mit Erfolg antreten zu können, will ich die vor mir 
marschierende Truppe überholen, aber eine energische 
Hand winkt mir zu, mein Stahlroß zu verlassen und 
demütig zu Fuß zu marschieren; an der marschierenden 
Truppe darf kein Radfahrer vorbei. Und so bin ich denn
	        
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