Volltext: Kriegserlebnisse ostpreußischer Pfarrer 2. Band (2. Band / 1915)

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der Schlacht bet Tannenberg Hohenstein besucht, um 
bei den Verwundeten mitzuhelfen, ihnen auch Frucht 
säfte von seiner Gattin mitzubringen. Da in der halb 
zerstörten, noch brennenden Stadt kein Unterkommen zu 
finden war, fuhr er nachts wieder heim und fand an einer 
Stelle das Feld zu beiden Seiten der Chaussee mit toten 
Russen sozusagen besäet. Man versetze sich in die Lage: 
Mitternacht, Mondschein, Hunderte toter Soldaten, der 
Chausseegraben bis zum Rande mit Toten gefüllt. Er 
stieg vom Rade, trat auf das Feld, sah sich um und horchte 
angestrengt in die unheimliche Umgebung hinein. Nichts 
bewegte sich; kein Laut, kein Hauch, kein Seufzer ließ 
sich hören, ein schreckliches Totenfeld. — Noch eine Er 
innerung hatte er an Hohenstein. Da war der Keller 
eines Gasthauses von den Russen erbrochen. Man hatte 
den Spirituosen offenbar in sehr starkem Maße zuge 
sprochen, jedenfalls wohl auch aus Abermut oder Zer 
störungswut die Spiritusfässer auslaufen lassen. Und 
dann kam die Katastrophe! Man muß sich die Situation 
wohl so vorstellen, daß auf irgend eine Weise der Spiritus 
in Brand geriet. Das Haus brannte ab. Die im Keller 
befindlichen Russen konnten sich, vielleicht ihres trunkenen 
Zustandes wegen, keinen Ausweg bahnen und kamen in 
der Glut um. Die vielen, vielleicht zwanzig brennenden 
Leichen in dem Höllenfeuer, das zum Teil die Knochen 
bereits bloßgelegt hatte, sind das Fürchterlichste gewesen, 
was S. in seinem Leben gesehen hat. Man kann's wohl 
glauben. — 
Ein anderes Bild. Im Seminargebäude in O. lagen 
bereits hunderte von Soldaten im Quartier. Abends kam 
noch eine Abteilung an. Die Klassen und andere Räume 
find überfüllt; es muß aber Unterkunft geschaffen wer 
den; draußen regnet es Strippen. Bleibt nur der große 
Korridor. S.'s Gattin kommt in Eile zu ihm: „Die Men 
schen können doch nicht so auf der harten Diele liegen; 
es muß doch wenigstens etwas Stroh..." „Ich will 
nral gleich nachsehen," meint der stellvertretende Direktor. 
Beim Nachsehen wurde festgestellt, daß die Soldaten be 
reits auf den besagten Dielen schliefen; als Kopfkissen 
diente der untere Rand der — Schirmständer. —
	        
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