Volltext: Kriegserlebnisse ostpreußischer Pfarrer 2. Band (2. Band / 1915)

Meine Tochter hatte ich im November nach Berliu 
geschickt. Während der Einquartierungen waren meine 
Frau und ich auf ein Zimmer angewiesen; es ging 
auch so. Ich hatte mich darauf gefaßt gemacht, falls das 
Pfarrhaus eingeäschert worden wäre, den Winter über im 
Keller zu Hausen; im „Mangelkeller" steht ein Ofen. 
Einmal hatte sich ein westpreußischer Hauptlehrer bei 
uns eingefunden (Unteroffizier, Eisernes Kreuz von 
Iwangorod), der sich freute, an ein Klavier zu kommen 
und den ganzen Abend spielte, „sich ausspielte". Die 
Offiziere sangen dazu, desgleichen die Leute in der Küche, 
etwa 12, bis 11 Uhr. Im „Zwischenzimmer" saß meine 
Frau und strickte. „Aber Frau Pfarrer, das geht doch 
nicht, daß Sie hier von zwei Seiten. . . das muß ja 
furchtbar sein! ich werde sofort anordnen ..." „Ach, nein, 
lassen Sie die Leute nur singen, ich freue mich darüber!" 
Die Leute sagten, außer Weihnachten und Kaisers Ge 
burtstag war dies der schönste Abend im ganzen Kriege. 
„Meine Herren, ich bin hier ganz allein und 
kann..." „Wir brauchen nichts weiter, als ein Dach 
über dem Kopf!" — Wie bescheiden doch der Krieg 
macht! 
„Meine Herren, nach dem Leben in dem Affenlande 
da drüben das erste deutsche Quartier — warm, reinlich 
— großartig!" 
„Ach, das ist wohl eine Serviette und das ein Eier 
becher — lange nicht gesehene Luxusartikel!" und wir 
hatten nur ein Tischtuch und einige Servietten zufällig 
gerettet, die noch dazu alt und ziemlich „unganz" waren! 
„Man weiß tatsächlich nicht mehr mit Messer und 
Gabel umzugehen." 
„Ein Bett! ein Bett! ein veritables, richtiggehendes 
Bett! und ausziehen darf man sich auch! Hurra!" 
Plötzlich, wie alles in diesen Zeiten, erschien ein Be 
kannter, ein Offiziersaspirant außerhalb jeder Essenszeit. 
Es waren zufällig zehn Apfelsinen da, fünf verzehrte er, 
fünf bekam er mit und erklärte ganz vergnügt: „Ich komme 
immer zum Maß, auch bei der Verteilung der Eisernen 
Kreuze war ich der erste." 
Mein Freund, Seminarlehrer S. aus O. hat nach 
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