Volltext: Reform des Leseunterrichtes

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Methode, die synthetische oder an alytische (Normalwörtermethode) 
die beste sei? worauf ich in dem Schreiben vom 24. September 1869 
unter anderen folgende Auskunft erhielt: 
„Die Fibeln, welche nach Jacotot’s Grundsätzen bearbeitet sind, muß ich für 
unbrauchbar erklären; denn sollte ich dies nicht dürfen, so müßte ihre Bearbeitung 
nicht allein nach den im Objekte, sondern auch nach den im Subjekte liegenden Ge 
setzen des Fortschrittes ausgeführt worden sein, was leider nicht der Fall ist. Jede 
Methode hat bei der Behandlung eines Gegenstandes den Weg einzuschlagen, den der 
Erfinder gegangen ist, mithin den zu behandelnden Gegenstand bis zu seinen Elementen 
zu verfolgen, darauf dieselben wieder nicht allein nach der Natur dieses Gegenstandes, 
sondern auch nach dem Entwicklungsgänge des kindlichen Geistes zu organisieren, 
also, daß der Fortschritt und die Entwicklung des Gegenstandes mit dem Fortschritte 
und der Entwicklung des Subjektes (Kindes) zusammenfällt. Alles dieses ist aber 
bei der Jacotot’schen Methode nicht der Fall, auch nicht bei der vereinfachten 
von Kehr, ja es finden sich sogar die gröbsten Verstöße darin gegen die geläufigsten 
didaktischen Kegeln: „Von der Sache zum Zeichen; vom Einfachen zum Zusammen 
gesetzten; biete erst eine Schwierigkeit und ist diese überwunden, dann etc.“ Daher 
kommen denn auch ihre Mißerfolge; denn jede Unnatur rächt sich. Was diese Methode 
endlich über Analysis und Synthesis faselt, ist denn vollends lächerlich. Sie analysiert 
aber nicht das gesprochene, sondern das geschriebene Wort und setzt zusammen 
nicht die Laute, sondern die Buchstaben, und zwar nicht nach den didaktischen 
Regeln, sondern in einem bunten Durcheinander: ,,9Iab, a—b; 9la—ab—9iab." Die 
Schreiblesemethode analysiert nicht das geschriebene, sondern das gesprochene 
Wort und setzt zusammen nicht die Buchstaben, sondern die Laute, und zwar 
nach den Gesetzen einer subjektiv-objektiven Methode. Wo ist also Natur und wo 
Unnatur?“ 
Nun lag der zerbrochene Stab über die neueste Methode, die mir 
bereits als ein zu erstrebenswertes Ideal erschien, zu meinen Füßen — 
ich sagte meinem liebgewordenen Freunde „Lebewohl“ — doch auf „Wieder 
sehen“. — So lautete also das Urteil eines gediegenen Methodikers über 
die im Prinzipe „beste Leselehrmethode“; und dieses Urteil bringen auch 
heute noch hunderte von Stimmen ihr entgegen! Wie vollkommen recht behält 
aber doch Dittes, wenn er in seiner „Methodik der Volksschule“ schreibt: 
„Die beiden Methoden (synthetische und analytische) sind einander viel 
ähnlicher, als die entschiedenen Anhänger der einen oder anderen zu 
glauben scheinen.“ 
Jahre verstrichen, ich unterrichtete als Oberlehrer auf meinem 
gegenwärtigen Posten nur in der obersten Klasse, bis ein Umstand mich 
veranlaßte, das erste Schuljahr abermals zu übernehmen. Ich betrieb den 
Leseunterricht wie früher nach der Schreiblesemethode, war jedoch trotz 
aller Bemühung mit den Erfolgen nie zufrieden. Gleichzeitig wendete ich 
den neueren Fibeln über die Wörtermethode (Normalwörtermethode, 
Realmethode, analytisch-synthetische Methode, vereinigter Anschauungs- 
Sprach-Schreib-Leseunterricht etc.) meine ganze Aufmerksamkeit zu, bis 
ich, auf ein selbständiges Urteil bauend, meine eigenen Wege mir bahnte, 
eine von den bisherigen wesentlich abweichende Methode aufstellte und 
dieselbe beim Unterrichte einführte. Und ich war glücklich über den 
endlich gewagten Schritt, die besten Früchte wurden der Lohn und ich 
möchte nur wünschen, daß mir alle Berufsgenossen diesbezüglich folgen 
möchten. — Leider wird ein Fortschritt hierin immerhin so 
lange mit der Schneckenpost weiter befördert werden, 
als diese meine rationellste unter allen Lesemethoden 
nicht in allen Lehrerbildungsanstalten von erfahrenen 
Praktikern den Lehramtskandidaten vor geübt wird! —
	        
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