Volltext: Die Ostalpen und Österreich

456 DIE ALPENLÄNDER: ZENTRAL- UND WESTALPEN 
und in fremde Umgebung an den Nordrand der Alpen versetzt wurden. Jahrmil 
lionenlange Zerstörungsarbeit hat die Alpen bis auf den Sockel erniedrigt. Im Tessin, 
wo nach dem Bauplan die höchste Aufwölbung auf vielleicht 30 km Höhe zu 
erwarten wäre, sind die Decken bis auf ihre Wurzeln abgetragen. Von hier aus 
sinkt die Faltenaxe nach Osten, und es tauchen die zentralalpinen Deckeniagen 
unter die ostalpinen ein. Was am Gotthard zu leuchtender Gipfelpracht erweckt 
ist, ruht in den Ostalpen noch in der Bergestiefe begraben. Aus den mannig 
faltigen Berggestalten heben sich besondere Formengruppen heraus. Am Nord 
rand des Gebirges ist das Motiv überstürzender Wellen in den hellen Bändern der 
Felsarchitektur besonders klar zu erkennen, am schönsten in den Ketten des S ä n t i s. 
Wuchtige ungeschlachte Stockformen, aus dem flacher gelagerten Teil der Sedi 
mentdecken modelliert, umschließen dagegen die Glarner Linth; und wieder folgt 
ein anderer Stil im kristallinen Fels der Walliser und Tessiner Alpen, wo der innere 
Bau nur wenig zur Geltung kommt. Hier hat sich die Erosion ohne Rücksicht auf 
Art und Lagerung des Gesteins bis auf den Sockel des Gebirges durchgearbeitet 
und wie mit einem Riesenmesser in gewaltigem Schnitt zackige Gratschneiden und 
schlanke Pyramiden ausgehauen. 
Unverkennbar trägt das alpine Relief tiefgehende Spuren der Eiszeit. Gerun 
dete Felsformen bis hinauf zur Schliffgrenze zeigen heute noch das Niveau der 
einstigen allgemeinen Vereisung an. Die Gletscher der Eiszeit schürften mit ihrer 
Grundmoräne das Felsbett aus und weiteten das Tal zur Trogform; die weit 
schauenden Terrassen über den Steilwänden sind heute zur bevorzugten Siedlungs 
zone geworden (Lauterbrunnental, Terrassen von Wengen und Mürren). Viele der 
Seitentäler, die unter geringerer Eislast lagen und in der Eintiefung zurückblieben, 
schneiden hoch über dem Haupttal in einer Stufenmündung ab; die Bäche schäumen 
über die Trogwand zu Tal oder laufen in dunkler Mündungsschlucht aus (Reichen 
bachfall bei Meiringen; Trientschlucht im Wallis). In mühsamem Anstieg windet 
sich der Weg neben der Schlucht zum hochliegenden Eingang des Seitentales 
hinauf. Querlaufende Felsriegel, vom Eis rundhöckerig zugeschliffen und vom 
Fluß zersägt, formen in den oberen Partien des Haupttales selbst eine Reihe 
von Stufen und Becken. Die Alpenrandseen können als solche Felsbecken gelten, 
die der eiszeitliche Gletscher ausschürfte. Eine andere Ansicht will die Seen 
auf ein Einsinken des von Flüssen bereits zertalten Gebirgskörpers zurück 
führen; durch die Einbiegung soll am Ausgang der Alpentäler ein rückläufiges 
Gefälle entstanden und das Wasser zu Seen gestaut worden sein. 
Mit den Stufenmündungen der Seitentäler und den Stufen im Haupttal verknüpfen 
sich viele der modernen Kraftwerke (Hochdruckanlagen Brusio, Löntsch, 
Amsteg, Ritom, Barberine). Die Schmelzflut der Gletscherbäche und der größte 
Energiebedarf fallen zeitlich nicht zusammen; darum sind die Kraftwerke häufig 
mit Staubecken oder höher gestauten Bergseen verbunden, die die Sommerflut als 
Winterreserve aufspeichern. 
Eiszeitliche Gletscher fanden verschiedentlich einen Überlauf durch Lücken des 
Gebirgskammes und weiteten sie zu breiten rundhöckerbesetzten Paßmulden. Als 
Wehrstellung taugte eine solche Paßfläche nicht; Wehr und politische Grenze 
wurden dann von der Wasserscheide weg in die nächste Schlucht verlegt. So 
meidet die Landesgrenze die Paßhöhe und verläuft durch eine Felsenge im Trient 
tal gegen Chamonix, am Simplon und an der Bernina; ebenso quert am Gotthard 
die Kantonsgrenze Tessin-Uri und zugleich die Sprachgrenze unterhalb derbreiten
	        
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