Volltext: Das Türkenbett

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Julius Zerzer 
atemberaubend. Wer eine Feldflasche hatte, tat einen tüchtigen Schluck. Der Kai¬ 
ser behalf sich immer wieder mit einer Prise. Er hätte auf seine Nase verzichten 
mögen. Als er zuletzt in den Hohlweg am oberen Ende der Ortschaft einbiegen 
wollte, wandte er seine an alle Schrecken des Krieges gewöhnten Augen. Hier 
waren die zermalmenden Räder der Artillerie über die Opfer eines verzweifelten 
Ringens hinweggerollt. Man mußte den aufgestauten, formlos gewordenen Wust 
mit Schaufeln beiseiteschaffen. 
Unfern deö Friedhofes machte Napoleon endlich halt. Sein stahlblauer 
Blick forschte in die Runde: ,Wo bleibt Massen«?' 
,Sire, der Marschall hat das Schlachtfeld bereits verlasien. Er ist nach 
Linz zurückgekehrt? 
.Ich erwarte ihn? 
Mit verhängten Zügeln sprengte der Generaladjutant Savary nach Linz. 
Man konnte keinen geringeren Abgesandten damit betrauen, einen so unentbehr¬ 
lichen Missetäter herbeizuholen. Unterdessen blieb Zeit genug, die Truppen zu 
inspizieren, die sich in ihren Beständen kläglich gelichtet zeigten. Die Division 
Claparede war beinahe vollständig aufgerieben. Der Kaiser tat seinen Gefühlen 
keine Gewalt an. Er äußerte in bewegten Worten seine Bestürzung und seinen 
Kummer. Da rief ein korsischer Tirailleur mit der Unbedenklichkeit seines jungen 
Blutes: ,Pah, Sire! Es reicht noch ganz gut für ein zweites Mal!' 
Napoleon fühlte die Mahnung. Er hatte sich auch hier der Rolle zu fügen, 
die er nun einmal zu verkörpern berufen war. So schwang er sich denn von 
seinem arabischen kleinen Schimmel, gab sich Haltung, durchschritt die Reihen 
mit jenem geschäftigen Eifer, der. alles sieht. Er ließ sich die Tapfersten vor¬ 
stellen, dankte ihnen für den glorreichen Tag, bestimmte Ordensverleihungen 
und verfügte Beförderungen, die der Stift des ihn begleitenden Stabschefs so¬ 
gleich vermerkte. Er kargte nicht mit dem Kreuze der Ehrenlegion. Er wollte 
jeden begründeten Anspruch zufriedenstellen, wollte vom Jubel seiner Soldaten 
umwogt und getragen sein. Und er verstand sich auf seine Leute. ,Vive PEm- 
pereur!' Sie dachten nur noch an Ruhm und Ehren. 
Die Stimmung der Truppen griff auf den Feldherrn über. Das kam den 
Generalen zugute, die jetzt die Trommel zur Besprechung zusammenrief. Den 
Brigadegeneral Coehorn, der in blinder Todesverachtung den Sturm geführt 
und weiter als rätlich vorgetragen hatte, wollte der Kaiser eigentlich tadeln. Aber 
er lobte ihn. Oder tadelte ihn nur obenhin, in einem Ton, der eher eine Anerken¬ 
nung für seine Kühnheit bedeutete. Claparede war mit dem Gros seiner Division 
den in der brennenden Ortschaft bedrängten Scharen zu Hilfe geeilt. War es seine 
Schuld, wenn die Österreicher sich um den verlorenen Posten wie Verzweifelte 
schlugen? Legrand, der keine Opfer scheute, um den Sieg zu erzwingen, war über¬ 
haupt nur zu loben. So kam es, daß das Gewitter seinen Groll schon besänftigt 
hatte, als endlich Massen«, Herzog von Rivoli, von dem allzeit verbindlichen Sa¬ 
vary aus üppigem Schmausen aufgestört und Herbeigeleitet, vor seinem Gebieter 
erschien, um sich weißzuwaschen. Er schien nicht zu zweifeln, daß ihm dies glücken 
werde. Sein stechendes kleines Auge — das zweite hatte der im Felde Un¬
	        
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