Volltext: Kriegs-Kalender für das Jahr 1917 (1917)

Heichen sehen liefe, glitten über die mit Ee- 
jirüpp bewachsenen Hänge hin und schauten 
die Paßstraße entlang. Die Karabiner hiel- 
teit die Krieger auf dem Marsch stets schuh- 
bereit. 
Die Kreuzung, die nach Regzeca und Leid- 
mno führt, war schon erreicht. Während im 
Rücken der einsamen Truppe der Felsstock des 
Monte Pori ein leichtes Rot, den Wider- 
schein des Abenddämmerns, aufwies, hingen in 
die Felswände der judicarischen Alpen die 
Schatten der niederfallenden Nacht herein. 
Der Führer der Truppe war ein noch 
blutjunger Offizier, über dessen Lippen kaum 
ein Bartflaum zu sehen war; aber die Züge 
oerrieten trotzdem ein stolzes Selbstbewußt- 
sein. Ferdinand Scheidhacker war ja ein Sohn 
dieses Landes, das nun Italien als billige 
Beute zu rauben gedachte,- sein Vater hatte 
mich schon gegen diesen gleichen Feind ge- 
lämpft. Die dunkeln Augen mit den buschigen 
Brauen, die hohe Stirn und die etwas ha- 
Imförmig gekrümmte Nase verrieten eine Ent¬ 
schlossenheit, die auch vor dem Tode nicht 
zurückschreckte. Und seine 12 Begleiter, meist 
ältere Soldaten mit krausen Bärten und 
mit knochigen Gesichtern, schienen das zu wis- 
sm. Sie hatten auch eine sehr verantwor- 
iungsvolle Aufgabe, nämlich dieses Tal ge- 
gen einen feindlichen Angriff zu sichern und 
bei einem vielleicht möglichen Versuch eines 
Truppsneinfalles rascheste Meldung zu bringen. 
„Wir werden eben noch die Hütte des 
Taldaner Pietro erreichen; dort sehen wir die 
Paßstraße weit hinunter und werden dabei 
auch vor einem Uebersall gesichert sein." 
„Es müßte schon jemand die Wand des 
Monte Porinna überklettern können!" war 
eine Antwort darauf. 
Nur ein paar kurze Bemerkungen fi»- 
im noch; sonst aber stimmten sie dem Vor- 
schlage des Führers zu. 
Schweigend zogen sie weiter. Und bald 
tauchte eine aus Felsen gebaute Hütte auf, die 
mit einem fast flachen Dache bedeckt war; 
he hing wie ein Vogelnest dicht an einer 
Felswand. 
Die Schatten der einbrechenden Nacht 
»Ilten nun auch schon die Paßstraße. 
„Den Caldaner Pietro werden wir ja 
»vhl nicht mehr antreffen." 
„Nein! der war gewiß unter den ersteh 
die nach Storo zogen, um dort zu den Jta- 
»enern zu gehen." 
Ferdinand Scheidhacker fragte: „So! 
Schört er zu jenen Verrätern?" 
Einer aus der Truppe gab Antwort, 
»^ch kenne ihn. Er hatte es immer schon 
magt, Italien werde nur die Stunde ab¬ 
warten, die für die Freiheit des Trentino 
die günstigste sei. Manche hatten ihn sogar 
im Verdacht, daß er schon lange als Ver- 
räter tätig war." 
„Gut! dann brauchen wir kein Beden« 
ken zu haben, seine Hütte als unser Quar- 
tier anzusehen: er wird ja kaum viel zurück- 
gelassen haben." 
So war es auch. Die Alpenjäger fan» 
den nur die leeren Mauern der Hütte vor. 
Lediglich auf dem Herde, der die Hälfte des 
einen Raumes einnahm und schmutzig und 
rußgeschwärzt aussah, lag noch verbeultes 
Blechgeschirr und altes Küchengeräte. Cinla- 
dend war der Raum nicht. Aber die Sol- 
baten, die bereits in Ealizien gegen die Ruf- 
sen gekämpft und dort den Winterfeldzug mit- 
erlebt hatten, achteten wenig darauf: sie hat- 
ten schon unter noch größeren Entbehrungen 
dem Tode getrotzt. 
Bald waren die Wachen aufgestellt, die 
die einzige Straße und den einzigen Fuß- 
steig vor Ueberfällen sicherten: die übrigen 
Mannschaften legten sich zur Ruhe, während 
der Führer nochmals die Wachen aufsuchen 
wollte, obschon er wußte, daß er dieser Leute 
sicher sein durfte. 
Eben war er bei dem ersten Posten, mit 
dem er sich in der Stille der Nacht nur durch 
Zeichen und hingehauchte Worte verständigte^ 
als die beiden irgendwo draußen ein top* 
pendes Geräusch vernahmen. Posten und Füh- 
rer blickten sich an, und mit verhaltenem Atem 
lauschten sie. Dann hörten sie einen Laut? 
der dem Ton eines weinenden Kindes glich. 
Aber wie sollte in dieser Zeit ein Kind hier 
herauf kommen? 
Leise bemerkte der Posten: „Das sind 
auch die Schritte eines Kindes." 
Und bald war denn auch im Dunkel der 
Nacht der Schatten eines etwa sechsjährigen 
Knaben zu erkennen, der weinend auf den 
Posten zuging, den er aber noch nicht ge- 
sehen haben konnte. 
Auf einen Zuruf des Führers war das 
Kind erschreckt stehen geblieben, aber nur 
für einige Sekunden: dann versuchte es.- 
schreiend fortzulaufen. Aber bald war der 
Knabe von dem Führer eingeholt worden,- 
der den zappelnden, schreienden Jungen zu- 
rücktrug. 
Kaum hatte der Posten selbst das Ee- 
sicht des Kindes gesehen, als er mürrisch er- 
klärte: „Das ist der Sohn des Caldaner: 
schaden wird es nicht, wenn er zugrunde geht." 
„Schäme dich. Toni Kaitor! Ein Kind 
ist für den Vater nicht verantwortlich. Und 
gegen Kinder wirst du doch nicht Krieg führen 
wollen. Ich selbst habe gesehen, wie du die
	        
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