Volltext: Kriegs-Kalender für das Jahr 1917 (1917)

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Der armen Anna zitterten die Knie. In 
ihrer Angst beteuerte sie ihre und ihres Man- 
nes Unschuld und sprudelte die ganze Ee- 
schichte von dem Plan des Geizhalses hervor, 
der bei ihnen, den Armen, sein Hab und 
Gut versteckt hatte, damit man bei ihm nichts 
fände und es ihm nehmen könne. 
Die Dreie wurden nachdenklich. Zum 
Teufel noch mal. das war ja ein ganz fil- 
ziger Kerl, dieser Nachbar. Der sollte seine 
Strafe haben. 
„Frau, stellen Sie sich an den Herd und 
kochen Sie", kommandierte Hans Stubbe und 
stieß mit dem Gewehr auf den Boden. Aber 
er lachte über das ganze Gesicht und hob 
eins der Kindchen, das im Nachthemdlein, 
schlaftrunken, erwacht von dem Lärm, im 
Türrahmen erschien, von der Erde empor, 
und wiegte es auf seinen Armen. Da wurde 
Annas geängstigtes Herz ruh'g. Was war 
zu machen, die Soldaten befahlen, sie hatten 
die Macht, der sie gehorchen muhte. Dem 
Geizhals Abeles war nicht zu helfen und ganz 
im stillen — ganz im stillen — sie wollte 
es sich nur nicht gestehen, gönnte sie dein 
Narren diese Lektion. 
Als das Mahl bereitet war, sahen zeh» 
Feldgraue und Iwan und Anna mit ihre» 
Kleinen um den Tisch, denn Hans Stubie 
war leise durch den Garten geschlichen und 
hatte die hungrigen Kameraden geweckt und 
sie zu den so unvermutet gefundenen Schätzt» 
geführt. Hei, das schmeckte ihnen aber! Sie 
spielten den Wirt und bedienten ihre Wirte, 
als ob sie Festgäste wären. 
Am Morgen, als die goldene Sonn« 
schien, zogen die Feldgrauen weiter. Abel« 
lag wohlig lächelnd noch in seinen Federbet- 
ten und hörte zufrieden ihrem Abmarsch 311. 
Als er aber in seine Eßstube trat, stand 
da eine große Schüssel, in der abgenagte Ee- 
flügelknochen, Hübnerfedern. Wurstschalen und 
die anderen Abfälle des Mahles fein säuber- 
lich aufgeschichtet waren. Daneben aber lag 
ein Zettel, auf dem die „Barbaren" in hös- 
lichen Worten ihrem freundlichen Wirt ihm 
Dank aussprachen für die köstlichen, für sie 
gesammelten u. aufgespeicherten Herrlichkeiten 
Die Wirkung eines Granatschuffes. 
Ein Artillerieoffizier schreibt: Was stellt 
man sich wohl in der Heimat darunter vor. 
wenn es im Bericht der Obersten Heeres- 
leitung heißt: An der Westfront nichts neues, 
nur Ärtilleriekämpfe? Ich will einmal schil- 
dem, was nur ein Geschoß ^anrichten kann. 
Ich lag auf Beobachtungsstand, als eine fran- 
zösische 21-Zentimeter-Granate 200 Meter vor 
mir einschlug. Sie schlug gerade mitten in der 
Chaussee ein, die mit schwerer Makadamdecke 
belegt war und selbst bei schlechtestem Wet- 
ter von unserer schweren Artillerie befahren 
werden konnte. 'Etwa 120 Meter vor mir 
lag ein schöner, mit einer sehr hohen, fast 
vier Meter erreichenden Umfassungsmauer ver- 
sehener Garten, vom Kriege noch ganz unbe- 
rührt. Ueppig blühten die verschiedenfarbi- 
gen Blumen. Plötzlich aber, unmittelbar, nach¬ 
dem die französische Granate eingeschlagen 
hatte, vollzog sich eine Aenderung, die mir 
unvergeßlich bleiben wird. Mit gewaltigem, 
nicht näher zu beschreibendem Getöne und Kra- 
chen hob sich einer der sehr alten, dicken Baum- 
rieben, die die Chaussee einfaßten, kerzengerade 
mit allen Wurzeln in die Höhe, genau so, als 
wenn er von unsichtbarer Hand mit all seinen 
mächtigen Wurzeln u. Würzelchen aus dem Bo- 
den gerissen und zum Himmel gehoben wer- 
den sollte. Etwa sechs bis acht Meter hoch 
flog der Baumriese in die Höhe, dann stürzte 
er krachend in den Blumengarten, und was 
das Allermerkwürdigste dabei war, wieder voll- 
kommen auf den noch mit Erde versehene» 
Wurzelballen, so daß er, von der Wucht des 
Falles fest in die Gartenerde .gedrückt, ge¬ 
radewegs von der Chaussee in den Garte» 
verpflanzt zu sein schien. Wir gingen näher 
Der mächtige Baum stand vollkommen fest; 
wir rüttelten an ihm, er bewegte sich nidjt 
Zahlreiche Wurzeln waren wohl gebrochen, 
indessen dürfte der so gewaltsam in den Gal- 
ten Verpflanzte hier weiter wachsen könne», 
da seine Schwere bei nassem Wetter die Wur- 
zeln so weit in den Boden eindrücken kan», 
daß sie Nahrung finden und den Baum nach 
und nach fest verankern können. Mitten auf 
der Chaussee hatte die eine Granate ein der- 
art großes Loch ausgehöhlt, daß ein bis zwei 
Möbelwagen bequem ihren Inhalt in ihm 
terbringen konnten. 
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