Volltext: Kriegs-Kalender für das Jahr 1917 (1917)

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hen Schlaf des Gerechten schnarchte, finden „Mon dieu, er kommt!" Mit diesem lei- 
mußte. sen Ausruf huschte sie leichtfüßig davon. 
Leise, um die vielleicht schon schlafen- Ich wartete noch einen Augenblick Und 
den anderen Hausbewohner nicht zu stören, starrte in die Dunkelheit hinaus, konnte aber 
öffnete ich die Tür ein wenig und schlüpfte weder etwas sehen, noch hören. Dann zog 
hinaus. Der Hausflur, der vorher durch eine ich mich vorsichtig in mein Zimmer zurück, 
kleine Petroleumlampe spärlich erleuchtet war? schloß leise die Tür und schob den Riegel 
lag jetzt in tiefer Dunkelheit vor mir. Das vor. Hierauf ließ ich mich an dem kleinen,- 
Aar ja aber ganz natürlich, und doch kam mitten in dem höchst wohnlich eingerichteten 
mir ein unbehaglicher 
Gedanke, als ich so in 
das schwarze Düster 
hineinstarrte. 
Plötzlich ver- 
nahm ich ein leises 
Rascheln, das aus 
einer entfernten Ecke 
des Hausflurs hervor 
an mein Ohr schlug. 
Alle Wetter, sollte — 
Ich lauschte einen 
Augenblick und taste- 
te nach dem Revol-- 
ver in der Tasche 
meines Beinkleides. 
Jetzt im Kriege in 
Feindesland war je- 
des noch so geringfü- 
gige, verdächtig er» 
scheinende Zeichen 
doppelt zu beachten. 
Das wußte ich aus 
Erfahrung. 
Das Geräusch 
kam rasch näher. Es 
klang aber nicht wie 
das Klirren der Waf¬ 
fen eines Frankti - 
reurs, sondern wie 
das diskrete Rascheln 
von weichen Frauen- 
gewändern. Schon 
öffnete ich den Mund, 
um in dröhnendem 
Kommandoton zu ru- 
rufen: „Halt wer 
da?", als eine 
unterdrückte Stimme 
und mit Teppichen 
belegten Raum ste- 
henden Tisch vor der 
brennenden Lampe 
nieder und stützte 
sinnend das Haust 
in die Hand. 
Die sich wider- 
sprechendsten Eedan- 
ken durchkreuzten 
mein Hirn, die wider- 
streitendsten Gefühle 
bewegten mein Herz. 
Was hatte das alles 
zu bedeuten? Ich 
wurde aus dem Cha- 
rakter dieses schönen 
Weibes nicht klug, 
nur eines wußte ich 
— oder ich ahnte es 
vielmehr —, daß ein 
Verhängnis heran- 
nahte, das mich ver- 
derben sollte. „Ihnen 
droht " Das 
waren ihre letzten 
Worte gewesen. Und 
was anderes sollte 
mir drohen, als Es- 
fahr? Aber welche 
Gefahr? Wahrschein- 
lich war hier Verrat 
im Spiel. 
Mir begannen 
jetzt die Vorgänge 
Langsam schlich der nächtliche Besucher des vergangenen 
näher zu meinem Lager heran, das vollstän- Abends und das 
dig im Finstern dalag. Verhalten meines 
Wirtes und seiner 
neben meinem Ohre leise zu flüstern begann. Frau schon etwas verständlicher zu werden. 
—■ „Still, Monsieur, bei allen Heiligen, still", Ich erinnerte mich an die heimlichen, unwil- 
raunte mir diese Stimme zu. und ich wußte ligen Winke, die der Mann seiner Frau stets 
nun, daß es Madame Blanche war, welche gab, wenn diese mich in so auffällig drin- 
mich zu so nächtlicher Stunde besuchte. „Schla- gender Weise davon abhalten wollte, mein 
fen Sie nicht, Monsieur Allemand," fuhr sie Zimmer und die mir so nötige Ruhe aufzu- 
mit erregter Stimme fort. „Wachen Sie, suchen. Und dann das immerwährende, über- 
denn ^es droht — —" trieben höfliche Anbieten von schwerem Wein 
In diesem Moment wurde ihre Rede durch von seiten des Mannes, das die Frau jedes- 
das leise Knarren einer Tür in dem Erd- mal zu verhüten suchte. Das alles gab mir 
geschoß unterbrochen. zu denken. Ich machte mir nun fast Vor-
	        
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