Volltext: Kriegs-Kalender für das Jahr 1917 (1917)

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In dem kleinen Boudoir saß die alte 
Gräfin. Ein wenig müde, ein wenig abge- 
spannt. Vor ihr stand groß und schlank in 
seiner kleidsamen Uniform ihr Sohn. Das 
Lachen, das den ganzen Abend in seinen 
Augen gelegen, war verschwunden. Was jetzt 
darin flackerte, war ein ängstliches, unsicheres 
Feuer. Seine sonst so herrische Stimme war 
heißer und seine Hände zitterten. 
„Du mußt mir helfen, Mama, unbedingt. 
Der Wechsel war heute schon fällig. Wenn 
ich Papa damit komme, riskiere ich alles. 
Denn du weißt, wie er darüber denkt. Ich 
muß das Geld haben." 
Sie spielte nervös mit ihrem Fächer. 
„Denkst du denn, daß ich über Millionen 
serfüge, Hasso? Es ist mir einfach unmög¬ 
lich. Woher soll ich bis morgen solche Riesen- 
summe nehmen? Du mußt mit Papa spre¬ 
chen. Es hilft Nichts." 
Aber da trat schon der cltc Graf 
Gasten in die Tür, die er lautlos hinter 
sich schloß. Denn drüben im großen Saal 
räumten die Diener die Unordnung fort. 
Der alte Graf war sehr blaß. Seine 
Rechte hielt ein offenes Telegramm. Er sah 
seinen Sohn nicht an. 
„Ich weiß alles, Hasso. Nicht nur von 
deinen Schulden, sondern auch davon, wie 
du unseren alten, ehrlichen Namen befleckt. 
Schande ist schlimmer als Tod. Gott helfe 
Uns!" 
Er stützte sich wankend auf die Lehne 
des Sessels. Sein Gesicht wurde hart. 
„Du wirst den bunten Rock ausziehen,- 
Hasso, und über das große Wasser gehen. 
Es bleibt dir nichts anderes übrig. Ich werde 
von jetzt ab keinen Sohn mehr haben. Kei¬ 
nen Sohn!" 
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über die Stirn und stöhnte. 
Da schrie die Gräfin auf, so schlimm 
hatte sie es nicht gedacht. 
Brüsk wandte sich der Alte zu ihr herum. 
„Deine Klagen kommen zu spät, Frau. 
Ich habe dich von anfang an gewarnt. Im- 
mer hieß es, ich sei zu hart mit dem Jun- 
gen. O, wäre ich härter gewesen! Nichts 
war dir gut genug für ihn. — nichts. Mit 
deiner Oberflächlichkeit und Genußsucht hast 
du ihn hineingepeitscht in das Verderben. Er 
B nicht allein Schuld daran." 
Der Alte wollte gehen. 
Da lief ein Zucken durch die straffe Ge- 
talt des jungen Offiziers. Cr trat einen 
schritt vor. 
„Vater, — um Gottes willen — " 
Aber der Alte schnitt ihm das Wort kra 
ab. Er sah ihn nicht an. 
„Ich will nichts mehr hören. Ich Hab« hei 
zu lange Geduld gehabt, mit dir. Nun Hab, gez 
ich keinen Sohn mehr. Du fährst heute nacht 
Das Reisegeld schicke ich dir auf dein Zw 
mer." | 1 
Noch einmal streckte der junge Mensch 
die Hand aus, — flehend. — beschwörend }n 
„Vater, — noch ein gutes Wort zun d« 
Abschied! Vater, — du mußt verzeihen voll S< 
her,^— so kann ich nicht gehen, — so nicht! dei 
— Vuler —i" ein 
Er schrie es fast. bit 
Der alte Herr hob den Kopf. Aber ei ^ 
sah an seinem Sohn vorüber. Seine Auge, 7~ 
blieben an dem großen Oelbild gegenüdei F 
hängen. „Das war bei Mars la Tour" De 
murmelte er, — „damals, in der groß« 
Zeit. Da wußten wir, wozu wir da war« 
— wozu wir des Königs Rock trugen. Hei wi 
lig war die Zeit, da wir die Erde düng> w> 
ten mit unserem Blut fürs Vaterland. Uni D 
ich habe einmal gedacht, daß auch mein Sohn V 
— mein einziges Kind —" br 
Er brach ab. Seine Stimme klang w« nr 
eine Glocke, die mitten durch gespruna« 
Schwerer stützte er sich auf den Lehnsessel bl 
Es war totenstill im Zimmer. 
Er sah nicht die bittenden Augen sein« „i 
Sohnes, der um Vergeoung schrie. H 
Steil reckte sich der alte Mann smpm 
„W„ durften bluten für das Vaterland . 
Dich speit das Vaterland aus, weil du ehv p> 
los wurdest. Da gibt es keine Sühne od« 
Vergebung. Mein Kind ist tot. —" le 
Hart fiel die hohe Flügeltür ins Schloß dl 
Schwer und grau stiegen die Morgen - 
nebel aus den Wiesentälern. In der Fem 
an den Ufern des Flusses dröhnte Kanon« 
donner. Auf der Chaussee jagte ein AM 
Der Kommandierend« des ... ten Reserm 
korps, Graf Gasten, saß darin. Mit ihn 
noch zwei andere Herren. Graf Gasten 
alt geworden. Man wußte nicht, ob das d« 
große Krieg oder der Gram um seinen ein 
zigen Sohn getan hatten. Vielleicht beide; ^ 
Der neben ihm Sitzende zog die Uhl g 
..In einer Stunde können wir in L. sei» 
Erzellenz dort länger zu tun?' sc 
Graf Gasten schüttelte den eisengrauen Kops g 
„Nicht sehr lange. Will ins Lazarett n 
Soll in allerhöchstem Auftrag einem Sterben 
den das Eiserne Kreuz bringen." 5
	        
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