Volltext: Kriegs-Kalender für das Jahr 1917 (1917)

IM 
Wilddieb ergreifen, wie er ihn der strafen- 
den Gerechtigkeit übergeben würde. Sein Ge- 
müt war durch die Ereignisse des letzten Ta- 
ges überreizt und ermüdet. Gegen seinen Wil- 
len nahte ihm mit leisem Flügelschlage der 
Schlaf, die Augen fielen ihm zu und sein 
Geist, befreit von den Sorgen und Plagen 
dieser unvollkommenen Erde, schwebte in dem 
lichten Aether einer anderen, besseren Welt. 
Er träumte von stattlichen Jünglingen, die 
durch die Hallen des Tannenwaldes einher- 
wandelten, unter ihnen der junge Jäger Franz 
Lautenhammer. Jeder führte ein liebliches 
Mägdlein am Arm, und die, welche an der 
Seite Lautenhammers schritt, war seine He- 
lene, jungfräulich schön, den bräutlichen Myr- 
thenkranz im goldblonden Gelock. Dann 
aber änderte sich plötzlich die Szene. Wie 
mit einem Zauberschlage verschwand das holde, 
lichte Bild. Es war Nacht, eine trübe, fin- 
stere Nacht. Cr selbst stand mitten im Busch, 
und von allen Seiten drangen mit Flinten 
und Beilen wütende Wilddiebe auf ihn ein. 
Gr wollte schießen, doch das Gewehr ver- 
sagte, er wollte den Hirschfänger ziehen, aber 
er brachte ihn nicht aus der Scheide. Mit 
geballten Fäusten wollte er sich gegen die 
Wütenden verteidigen, aber ach, er hatte nicht 
die Kraft, ein Glied zu rühren. Und heran 
stürmten sie mit verzerrten Gesichtern und 
funkelnden Augen. Der vorderste stand schon 
dicht vor ihm, ein blitzendes Weidmesser in 
der Rechten schwingend. Ein leiser Seufzer 
entrang sich der gequälten Brust des ein- 
samen Schläfers und er erwachte. 
Wie ein Trunkener starrte er zuerst um 
sich. Ja, er lag im Gebüsch, inmitten des 
einsamen, schweigenden Waldes. Es war dun- 
kel um ihn her, tiefe Nacht. Doch wo wa- 
ren seine Peiniger, wo waren die Schreck- 
gestalten der Wildschützen? — Ein wüstes 
Traumbild hatte ihn geäfft. 
Seine wirkliche Lage kam dem Förster 
schnell wieder zum Bewußtsein und leise er- 
hob er lauschend den Kopf ein wenig, um 
verstohlen auf die Lichtung vor ihm hinaus- 
zuspähen. Bei dem matten Lichte des Mon- 
des tauchten deutlich die Umrisse des gefan- 
genen Rehes vor ihm auf. Aber neben dem 
armen Geschöpf kniete vornüber gebeugt, eine 
menschliche Gestalt. Das Röcheln des zu Tode 
getroffenen Tieres klang zu dem im Busche 
Verborgenen herüber. Da war er, der gesuchte 
Wilderer. 
Mit jähem Ruck schnellte Bork aus dem 
Busche hervor und stand aufrecht da, die Flinte 
an der Wange. Durch das Geräusch hinter 
ihm gewarnt, wandte sich der Wildschütze schnell 
nach dem Förster um. 
„Halt, vder ich schieße!" tönte Bork? 
markige Stimme kräftig durch den schweig«,- 
den Wald. 
Aber der Mann gehorchte nicht diese, 
Aufforderung. Wie eine Feder schnellte « 
empor, ergriff die am Boden liegende Büchse 
und eilte wie ein gehetztes Wild durch das 
Buschwerk, um in rasender Flucht Heil und 
Rettung zu suchen. Hinter ihm her stürmte 
gleich einem Schweißhunde der Förster. Eine 
Weile rannten so beide keuchend durch den 
wilden Tann, doch da mußte der Wilddieb 
eine Lichtung überqueren. In langen Sprün- 
gen suchte er das jenseitige Gebüsch zu er- 
reichen, aber der unermüdliche Verfolger lieh 
diese Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen. 
Jäh machte er im rasenden Laufe Halt. 
„Steh, oder —!" stieß er abgebrochen 
hervor. Blitzschnell flog der Kolben des Ee- 
wehres an seine Backe, am Nächsten Baum 
stützte er auf, zielte einen kurzen Augenblick 
und drückte los. Dumpf donnerte der Schuh 
durch die schweigende Nacht, mit hundertfachein 
Echo in den nahen Bergen verhallend. Der 
Wilderer wankte, stürzte jedoch nicht. Die 
Absicht des Försters war erreicht. Ein Streis- 
schuß am Bein sollte den Wilddieb an der 
weiteren Flucht hindern. Näher und näher 
kam Bork dem vor Anstrengung keuchenden 
Flüchtling, der mit Händen und Füßen vor- 
wärtsstrebte. Ein schneller Blick jedoch, den 
der Verfolgte hinter sich warf, genügte, ihm 
das Aussichtslose seiner Bemühungen klar zum 
Bewußtsein zu bringen. Plötzlich prägte sich 
wilde Entschlossenheit in seinen Zügen aus 
und mit Gedankenschnelle kniete er mit an- 
geschlagenem Gewehre hinter einem Busche 
nieder. Ein kurzes Aufleuchten und der Schuh 
krachte. Der Förster verspürte einen stechenden 
Schmerz in der linken Schulter und mechanisch 
erhob er seine Büchse. Jetzt mußte er rasch 
schießen, denn in der nächsten Sekunde schon 
konnte der zweite Lauf, der drohend auf ihn 
gerichteten Flinte des Wilderers sich entladen. 
Schnell entschlossen zielt er kurz, der Finger 
berührte den Abzug. Dumpf dröhnte der 
Schuß. Wie vom Blitze gefällt, brach der 
Wilddieb zusammen, während aus dem zwei- 
ten Rohr seines Gewehres ein Feuerstrahl 
zuckend durch die Büsche fuhr und die Kugel 
fast senkrecht in die Luft pfiff. 
Bork lud seine Büchse von neuem und 
eilte auf den am Boden Liegenden zu. 
„Alle Wetter, das ist ja der Lorenz aus 
Gossenreuth," rief er erstaunt, als er jetzt 
nahe genug war. um die Gesichtszüge des 
Mannes zu erkennen. 
..Wo bist du getroffen?" fragte er dann 
den leise Wimmernden.
	        
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