Volltext: Kriegs-Kalender für das Jahr 1917 (1917)

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ist vielleicht das Versöhnliche daran." Wens 
«ber daheim trifft, der denkt doch anders." 
Martha wandte das Gesicht der Freun- 
dm ab und blickte starr in die brennende Ferne. 
Dann plötzlich faßte sie die Hand der neben 
ihr Sitzenden und drückte diese heiß. „Kannst 
du es nachfühlen, was es heißt, jemand drau- 
ßen zu wissen, den man liebt, von dem man 
glauben darf, daß er das gleiche Gefühl 
im Herzen trägt? Helene! Du bist die ein- 
»ige bis heute und wirst es bleiben, der ich 
mich anvertraue. Kommst du nach Westen 
.... vielleicht ... der Zufall . . . wer kann 
es wissen? . . . bringt ihn dir nahe: grüße 
ihn von mir. Sage ihm, seine Walzerkönigin 
gedenke oft noch des schönen Sommerfestes 
drüben in R." 
„Und sein Name, Martha?" 
„£>, du liebe, blinde Freundin! Man 
merkt doch, daß du in deiner ernsten Art 
nie einen Tanzboden betreten hast. Wer an- 
ders, als der neugebackene Schulamtskandidat 
Werner Frohmann könnte es sein?" Sie 
merkte nicht, wie bei diesem Namen über das 
Gesicht der Anderen eine jähe Blässe glitt. 
Sie fuhr leicht erregt fort: 
„O, das war ein Abend! Die Lieder- 
tafel hatte ihr Stiftungsfest gefeiert. Fast 
nur mit mir hatte er getanzt. Seine Walzer- 
königin hatte er mich genannt. Und dann 
der Heimgang im Mondenscheine! Herrlich! 
Immer meinte ich, er müsse sich erklären. Aber 
dann holten uns Krämers ein und da war 
alles vorbei. Zwei Wochen später brach der 
Krieg aus. Uebrigens auch von dir fing 
er ein paarmal an und bedauerte, daß du 
dich von derartigen Vergnügungen stets so 
fern hieltest." 
„So, tat er das?" So matt klang Plötz- 
lich die Stimme. 
„Willst du mir meinen Wunsch erfüllen, 
Helene? Ihm vielleicht auch andeuten, was 
er mir geworden? Wie ich den wundervollen 
Abend nicht vergessen kann?" 
„Gewiß werde ich das tun. Und nun 
komm! Morgen früh heißt's zeitig auf- 
brechen." An der Haustür nahmen die Freun- 
binnen herzlichen Abschied. Martha drückte 
die Jugendfreundin fest an die Brust und 
sah ihr hell ins Auge. 
„Bist doch immer die tapfere und ver- 
nünftigere von uns beiden gewesen, Helene! 
Eine bessere Freundin wie dich konnte ich nicht 
finden. Lebe wohl! Auf ein gesundes Wie- 
dersehen!" Sie schüttelten sich zum letzten 
Male die Hände und trennten sich dann. 
Um den Vogesenkamm im Süden dieses 
Gebirges stritten noch immer die feindlichen 
Scharen. Es waren im allgemeinen keine offe- 
nen Schlachten, welche hier ausgetragen wur- 
den. Doch Tag und Nacht saß man sich 
in ausgehobenen Gräben gegenüber, jede» 
Augenblick bereit, Stoß mit Stoß zu 
dem. Das felsdurchsetzte Hochland lieh so. 
gar diesen Kämpfen einen Hauch von Ro- 
mantik. Heute hauste man in einem verlas, 
sensu Schlosse, morgen in einer verräucherte 
Bauernhütte oder lag wieder im geliebte» 
Schützengraben, mit Humor über Strapaze» 
und Entbehrungen sich wegtäuschend. 
Auch Werner Frohmann zählte mit z» 
jenen, welche ihr gut Teil mit dazu beittu. 
gen, über die Unbill der Tage fortzuhelfen 
Seine allzeit fröhliche thüringer Natur Ijatte 
ihn rasch beliebt gemacht. „Ich muß doch 
meinem Namen auch Ehre machen!" lachte 
er zuweilen. „Berliner und Thüringer sind 
eben nicht unter zu kriegen. Jene haben de» 
kalten Witz, uns sagt man gute Laune und 
Humor nach." 
Eines Morgens rauscht wieder jenseits 
des breiten Rheintales über dem Schwarz- 
walde die Sonne auf. Die Gipfel des Was- 
gau nehmen das überirdische Feuer auf und 
geben es von Kuppe zu Kuppe weiter. I» 
den Schützengräben steigen rauchige kleine 
Flammen auf. Morgenkaffee soll die durch- 
kälteten Glieder wärmen. Da hallen in das 
Morgenidyll plötzlich und unvermutet feind- 
liche Schüsse. Der Gegner hat sich im Mor- 
gennebel herangeschlichen und sucht das ver- 
lorene Gelände zurück zu gewinnen. Im N» 
entwickelt sich ein heftiges Gefecht. Werner 
Frohmann steht mitten im Kugelregen und 
feuert seine Leute immer aufs neue an. 
„Munter. Jungens, damit wir bald i» 
das Land kommen, wo wir uns in Wei» 
baden wollen! Hurra, drauf!" 
Im nächsten Augenblick stößt er eine» 
leichten Schrei aus und taumelt schwer ge> 
troffen zu Boden. Ueber ihn hinweg ras! 
der Kampf weiter fort, hin und her, bis 
endlich der Gegner abgewiesen und zur Fluch! 
gezwungen wird. Werner Frohmann ist bald 
aufgehoben worden und nach erstem Verbände 
mit einem Kraftwagen in ein Lazarett nach 
Straßburg überführt worden. 
Die Lichter in den Sälen brennen bereits 
da die Verwundeten eingebracht werden. Am 
Eingange neben dem leitenden Arzt stehen 
ein paar Pflegerinnen in leisem Gespräche. 
Kranker um Kranker wird vorübergetragen 
Da zuckt Schwester Helene zusammen. Un- 
willkürlich beugt sie sich nach vorn ein wenig, 
dann überzieht Blässe ihr Gesicht. Der Arzt 
schaut sie fragend an. 
„Was haben Sie, Schwester?"
	        
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