Volltext: Kriegs-Kalender für das Jahr 1917 (1917)

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Der Major schaute erfreut in das frische, 
IShne Gesicht: „Sie, Scharf, das freut mich, 
Sie werden die Sache schon machen!" Mit 
tiner Handbewegung entließ er die anderen 
drei. 
Hans Scharf dachte im Stillen, ich danke 
für die gute Meinung! Laut aber sagte er 
itu? sein „Zu Befehl". 
Der Major gab ihm die Hand: „Hier ist 
der Befehl, und nun in Gottes Namen los. 
Kommen Sie gesund zurück." 
Es war ein gefährlicher Gang, den Hans 
Scharf übernommen hatte und seine Käme- 
raden wußten das. Denn die Russen und 
Kosaken, die ihnen gegenüber lagen, hatten 
die häßliche Angewohnheit, auf alles, was 
von der Nesemstellung sich zur Front oder 
zurück begeben mußte, eine höllische Schießerei 
aus allen Kalibern loszulassen. Aber Ee- 
sahr war etwas, was die tapferen Jungen 
hier längst verachten gelernt hatten und, je 
toller und kühner das Unternehmen war. um 
jo übermütiger wurden die Witze. 
..Steck' halt den Kopf ein bissl' 'nein, 
daß sie dir nicht die Zähne einHauen!" 
„Rutsch auf der Vorderseite, wie eine 
kdechse, das geht langsam, aber sicher —" 
„Lieber nicht, Hans! Da haun sie dir 
ein Stück Eisen ins Kreuz — und hinten 
is es so empfindlich." 
„Habt nur keine Angst, Kinder", lehnt« 
Scharf die Ratschläge ab. „Ich Hab' ein Re- 
turbillet." 
Noch ein paar ernsthafte, wohlmeinende 
Ratschläge und ein kräftiger Händedruck von je- 
dem Kameraden, dann trat Hans Scharf seinen 
gefahrvollen Schnellauf an. Zwei Wege führ- 
ten durch das unter Wasser gesetzte sump¬ 
fige Gelände. Ein breiter, gerader Weg, ein 
Aück einer früheren Landstraße, und ein 
Ichmaler Damm, der aber in weitem Bogen 
M Ziel führte. 
Die Kameraden und auch der Major 
Merten in die Reste des Daches, um hier 
das Nennen Hans' zu beobachten. Hans lief, 
«as die Beine hergeben wollten. Kaum hun- 
dert Meter hatte er hinter sich, da ging 
das Höllengskrache los: Hui, hui, ratsch-ratsch, 
imck-knack-knack ging es mit Granaten, Schrap- 
mls und Maschinengewehren über, neben und 
mter Hans los. Er rannte im Zickzack, warf 
»ch hin, — blieb einige Zeit liegen — Sprung 
M — lauf — lauf, und nach einer guten 
Viertelstunde war er glücklich im Schützen- 
graben, jubelnd empfangen von den Käme- 
men. 
Hans gab seine Meldung ab: und nach- 
mi er vom Hauptmann K die Bestätigung 
und zwei Zigarren erhalten hatte, wollte er 
den Rückweg antreten. 
„Hören Sie. Scharf! Auf den Weg, den 
Sie gekommen sind, ist die Bande eingeschos- 
sen und man wartet doch schon daraus, ob 
Sie wieder rauskommen. Gehen Sie doch 
den anderen Weg zurück. Er ist ja ein biß- 
chen weiter, aber nicht so gefährlich. Wir 
werden den Brüdern auch ein paar Bohnen 
rüberschicken, damit sie abgelenkt werden!" 
„Das Hab ich mir auch schon gedacht 
Herr Hauptmann." Hans steckte sich seine 
Zigarre frisch in Brand, schlängelte sich den 
ganzen Graben entlang bis an das Ostende 
der Linie und mit einem „na, also los! Ser- 
vus Kinder!" schwang er sich aus dem Gra- 
ben. Aber es war, als ob die Russen die 
List geahnt hätten. Sie richteten ihr ganzes 
Feuer jetzt auf diesen auch ihnen bekannten 
Weg. 
Sowohl vom Graben wie auch vom 
Stabsquartier beobachtete man mit den in- 
nigsten Wünschen für Hans und mit grimmi- 
gem Zorn auf die Russen den Hetzlauf des 
Kameraden. Das blitzte und krachte um Hans, 
als wenn die Hölle losgelassen wäre. Im 
Zickzack laufen war hier auf dem schmalen 
Pfad ausgeschlossen. Drei-, viermal hatte sich 
Hans schon hingeworfen, um dann Mit blitz- 
schnellem „Sprunglauf" wieder vorwärts zu 
rennen. Da plötzlich warf er mit einem ho« 
hen Sprung die Arme seitwärts und stürzte 
zu Boden. 
„Verdammte Hunde," sagte der Major 
und ließ das Fernglas sinken; „Scharf ist ab- 
geschossen! —" Er stieg aus dem Dachge- 
bälk herab, ging in das Stabszimmer und 
ordnete an, daß Krankenträger den Braven 
holen sollten, sobald es dunkel wäre. 
Als Hans nicht mehr aufstand, stellten 
die Russen das Schießen ein. 
Ein leiser Regen rieselte vom dunklen 
Nachthimmel herab. Hans Scharf wachte aus 
seiner Betäubung auf. Er sann ein bißchen 
nach, was eigentlich los war. Dann rollte 
er sich auf den Rücken und setzte sich schließ- 
lich auf. Nein, verwundet war er nicht. Ee- 
stolpert war er, lang hingeschlagen und vom 
Sturze betäubt.- Wie lange er gelegen, wußte 
er nicht. Rings um ihn war schwarze Nacht 
und alles still. Nur in der Ferne das Auf- 
krachen schwerer Geschütze und langhingezo- 
genes donnerndes Erollen. Hans stand auf 
und suchte sich zu orientieren. Er tappte ein 
paar Schritte rechts,- patschiger, weicher Grund. 
Also falsch. Ein paar Schritte links. Die 
Stiefel klatschten im Wasser. Nun ging er 
langsam Schritt für Schritt vorwärts. Eine 
Ewigkeit dünkten ihm die Minuten, die er
	        
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