Volltext: Kriegs-Kalender für das Jahr.... (1916)

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gen, der hartherzige, gewinnsüchtige Mann. 
Gutknecht und sein kränkliches Weib sind dann 
brotlos. Das ist es, was des Landmanns 
Herz erschüttert in dieser schicksalsschweren 
Stunde. Darum schaut er trüben Blickes in 
den sich rosig färbenden Abendhimmel, dar¬ 
um kommt es wie ein Notschrei aus tiefster 
Brust über seine bebenden Lippen. 
„Herr, du Allmächtiger, hilf du. denn 
du allein kannst es!" 
Weiter fliegt der schweißtriefende Rad¬ 
ler dahin auf der staubigen Landstraße. Vor¬ 
dem neuen, stattlichen Wohnhaus des Lin¬ 
denhofs steht, gemächlich sein Pfeifchen 
schmauchend, breitspurig der reiche Gebhard. 
„Mobil! Ganz Deutschland mobil! Ge¬ 
gen Rußland geht's. Frankreich steht auf 
der Lauer!" ruft der Postbote und fliegt 
weiter. Der Lindenhofer reißt die Pfeife 
aus dem Munde, wist noch etwas fragen, 
kommt jedoch nicht mehr dazu. 
Mobil! Ja, das war ja vorauszusehen, 
und doch wirkt das Wort wie ein zündender 
Blitz. Leben kommt in den schwerfälligen 
Bauersmann. Aber bald ist er wieder be¬ 
ruhigt : 
„Dir kann nichts werden. Du brauchst 
nicht mehr mit, der Junge ist dienstuntaug¬ 
lich. Die drei Gäule, die du hergeben mußt, 
werden gut bezahlt. Von den Leuten wird 
nur Jochen Röhrdang eingezogen. Ist auch 
zu ersetzen, wenn er auch ein fixer Kerl sein 
mag. Aber der Eutknecht. Reklamieren 
wollte er keinen von seinen Jungens, weil 
er sich noch rüstig genug fühlt. Bäh, der 
Narr! Dem geht es an den Kragen, das 
ist keine Frage. Jetzt gibt ihm keiner Geld, 
und der Bankerott ist unvermeidlich. Du 
hast dann den Erlenhof." 
Wie oft wünschte Gebhard sich das! Und 
dennoch will die Freude nicht aufkommen in 
dieser Stunde. So ein unangenehmes Ge¬ 
fühl da tief drinnen in seiner Brust ver¬ 
gällt sie ihm. Er kann nicht davon los¬ 
kommen. Merkwürdig! Ist das die Stimme 
des Gewissens? 
Und die marternden Gedanken, die im¬ 
mer heftiger auf ihn einstürmen, los zu wer¬ 
den, geht der Lindenhofer in die Stube und 
trinkt einen steifen Grog. Noch einen zwei¬ 
ten. einen dritten. Doch seine Stimmung 
bleibt gedrückt. 
Jochen Röhrdang kommt mit dem Brot¬ 
wagen endlich aus der Stadt zurück. Des 
Burschen Gesicht glüht wie irrt Fieber, und mit 
blitzenden Augen ruft er aus: 
„Herr, ist das ein Leben in der Stadt! 
Alles, was kriechen kann, möchte mit in den 
Krieg. Die Kftchenglockerr wurden geläutet. 
Auf dem Markt spielte die Kapelle. Duft 
die Straßen ging's mit Hurra und „Hei! 
dir im Siegerkranz". Morgen mit dem erste, 
Zuge muß ich reisen. Zwölf Mann aus Hch 
darf fahren mit, die anderen später. Ent 
knechts kleiner Karl hat sich sofort freiwillh 
auf dem Bezirkskommando gemeldet. An¬ 
der Oberleutnant will dafür sorgen, daß « 
eingestellt wird. Nun ziehen alle Gutknechi- 
scheu Jungens ins Feld. Der Paul ist ebe, 
aus Schwarzsee eingetroffen, um schnell noj 
Adieu zu sagen. Ja, alle vier! Von BA- 
ker Rücker müssen fünf mit. Und er, 
Alte, stellt sich auch freiwillig. Keiner den!! 
mehr an sich. Ich danke Gott, daß ich mit 
dabei sein darf! Meine Mutter ist ganz g* 
faßt und sagt bloß: „Jochen, schlag tüchltz 
dazwischen!" Na, das machen wir! Hen. 
das ist doch etwas Großes!" 
Wie im Rausch redet der sonst so stillt, 
bescheidene Knecht, trotzdem er vollkomnm 
nüchtern ist. Gebhard mag gar nichts mch 
hören. Ihm ist so beklommen zu Mute, ei 
fühlt sich auf einmal so furchtbar klein 
unbedeutend. Ist er denn nicht auch mal 
ein strammer Soldat gewesen? Hat er de» 
Kaiser nicht vor dreißig Jahren ebenfall 
seinen Fahneneid geschworen? — — 
Sehr verdrießlich geht er zu Bett. Doch 
Schlaf findet er nicht. Als der erste Mot 
gensonn-enstrahl durch das grüne Laub ds 
Linden zittert rennt er draußen schon rufe 
der unruhig umher. Da — Gesang!- 
„Es braust ein Ruf wie Donnerhall 
— die Helldorfer Reservisten ziehen zu» 
Bahnhof, voran Nachbar Gutknechts Söhnt. 
Und der Alte marschiert tapfer mit in Reib 
und Glied, die Kriegsdenkmünze auf dri 
Brust. Fast die ganze Gemeinde gibt de« 
Scheidenden das Geleit. Mutter Eutknch 
wankt an der Seite von Müllers Luise. Bleich 
zwar ist ihr faltiges Gesicht, aber sie ver¬ 
gießt keine Träne. Niemand weint über¬ 
haupt. Eine Heldenschar. Und dieses Kampf 
und Trutzlied, wie schallt es so gewaltig duft 
den goldenen Morgen. „Lieb Vaterland, 
magst ruhig sein! Fest steht und treu bii 
Wacht am Rhein!" — — Da packt es bei 
Bauersmann ans Herz wie mit ehernen <T 
sten. Es ist, als sei er urplötzlich ein gan; 
anderer Mensch geworden. Daß er ein Deut¬ 
sch er ist, kommt ihm zum Bewußtsein. — 
„Brüder müssen alle sein, die sich ab 
Deutsche fühlen," spricht er vor sich his 
während ihm die hellen Tränen über d« 
Wangen perlen. „Fort jetzt mit Haß uni 
Fehde im eigenen Lande! Vier Söhne 
Eutknecht willig und gern dahin. Muß ma> 
ihn darum nicht verehren?" 
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