Volltext: Kriegs-Kalender für das Jahr.... (1916)

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Ich schloß ihm die Augen und bedeckte 
seinen Körper mit einem Soldatenmantel. 
Dann untersuchte ich das kleine Kreuz, ob 
ich nicht seinen Namen darauf finden könnte. 
Aber nur die Worte: Lonvisvs-toi a la 
mere! — waren auf der Rückseite des Kreu¬ 
zes eingegraben. 
Ja. der Tote hatte sich bis zum letzten 
Atemzuge seiner Mutter erinnert. Er war 
gestorben mit dem heiligen Namen Mutter 
auf den vom Tode geküßten Lippen. Ich 
hatte das Vermächtnis des Toten empfangen, 
ich wollte seine letzte Bitte erfüllen. 
Aber es war mir nicht möglich, seinen Na¬ 
men zu erfahren. Der Dienst nahm mich 
in Anspruch, am anderen Morgen in aller 
Frühe marschierten wir weiter nach Paris 
— nach Orleans — ich konnte mich nach dem 
Namen des Toten nicht erkundigen — wie 
viele ruhten mit ihm auf dem blutigen Felde 
der Ehre! 
So nahm ich das Kreuz mit mir i« der 
Hoffnung, später die Bitte des Toten er¬ 
füllen zu können. Aber es gelang mir nicht 
— ich erließ nach dem Frieden einen Aufruf 
in französischen Zeitungen, niemand meldete 
sich — vielleicht hatte die Mutier den Tod 
ihres Sohnes nicht überlebt. 
So behielt ich das Kreuz — eine Erinne¬ 
rung an den blutigen ereignisreichen Tag 
von Sedan vor 40 Jahren, und wenn ich 
das kleine Kreuz ansehe, dann höre ich noch 
immer das letzte Wort des Sterbenden: 
„Meine Mutter" . . . 
Als Held und liebender Sohn war er 
in den Tod gegangen. Ehre seinem Ge¬ 
dächtnis." 
So erzählte der alte General und be¬ 
trachtete ernst und mit sichtlicher Rührung 
das kleine Schmuckstück — das Kreuz der 
Mutter. 
Mn letzter Wunsch. 
Wir lagen ausgeschwärmt im Gefecht. 
Links von mir lag unser Feldwebel N. mit zwei 
Leuten, rechts von mir ein Reservist aus W. 
Plötzlich hörte ich einen Aufschrei neben mir. 
Ich schaue rechts. Der gute Eifeler hatte einen 
Schuß in die Herzgegend. Sofort kroch ich zu 
ihm, befreite ihn von seinem Tornister und 
Koppelzeug, zog ihm den Rock von der Seite 
weg. nahm sein Verbandkästchen heraus und 
verband ihm die Wunde. Ms er zur Besinnung 
kam. rief er: Herr Feldwebel! Noch einmal 
muß ich schießen, noch einmal! Drehen Sie 
mich herum! Ach!" Der Feldwebel rief: 
„Kerlchen, bleib ruhig liegen, wir schießen." 
Da bat er mich: „Herr Unteroffizier, noch ein¬ 
mal schießen, ach, noch einmal!" Ich konnte 
seiner Bitte nicht widerstehen und hielt ihm 
mein Gewehr hin. Er drückte ab und sagte 
sichtlich erfreut: „So!" Dann legte er sich 
hemm und sah mich einige Sekunden an. Die¬ 
sen Blick vergesse ich in meinem Leben nicht. 
Noch einmal streckte er die Arme aus — er war 
nicht mehr. „Anna" war sein letztes Wort. 
Herr Feldwebel! Noch einmal muß ich schießen, 
noch einmal 
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